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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Mutter, die hier das Zepter schwang.
    Im Saal breitete sich Schweigen aus, als David die Zeichen studierte, die in den gehärteten Ton eingeritzt waren, die Sprache und die Schriftart sowie spezielle Zeichen und den Rhythmus der »Stimme« des Verfassers. Wie immer nutzte Nobu die Wartezeit, um seinerseits die Anwesenden näher in Augenschein zu nehmen.
    Der Winzer schien durchaus umgänglich zu sein, auch wenn er sich beim Verhandeln mit dem arroganten Schiffbauer reichlich ungeschickt angestellt hatte. Die drei jungen Mädchen dürften seine Töchter sein. Die Älteste hatte Nobu für eine Sklavin gehalten, die Jüngste wies eine deformierte Oberlippe auf, wodurch ihre Zähne auf unschöne Weise ständig zur Schau gestellt wurden. Die Mittlere, die Avigail mit Tamar angesprochen hatte, weckte Nobus besondere Aufmerksamkeit. Dass sie eine außergewöhnliche Schönheit war, beeindruckte ihn im Augenblick weniger. Aber wie sie David anschaute! Verschlagenheit lag in diesem Blick.
    Diese Familie hat mehr als nur ein Problem. Wenn sie glaubt, einzig der fette Schiffbauer würde ihr Kummer bereiten, sollte sie lieber auch auf die Mädchen achtgeben.
    »Was hat denn dein Sklave?«, fragte Elias.
    »Er lauscht den Göttern. Er hört Stimmen.«
    »Bitte untersag ihm, ihnen zu antworten.«
    David bedachte seinen Gefährten mit einem strafenden Blick, der Wirkung zeigte: Um weiteres Murmeln zu unterbinden, biss sich Nobu auf die Lippe. Jetzt schloss David die Augen zu einem kurzen Gebet zu Shubat, seinem persönlichen Gott. Das tat er immer, wenn er es mit geschriebenen Worten zu tun bekam, war er sich doch wie jeder andere der Macht des Wortes bewusst. Ein impulsives oder unangebrachtes Wort konnte dem, der es äußerte, Verderben bringen. Noch mehr Wirkung zeigte das geschriebene Wort, weil es, anders als das gesprochene, unvergänglich war. Entsprechend respektvoll und bedacht ging David deshalb an alles Schriftliche heran. Shubat leite meine Augen und meine Zunge, betete er still.
    Dann räusperte er sich und hob an zu lesen. »Geliebte Cousine, Frieden und der Segen Dagons seien mit dir. Meine Söhne sind alle verheiratet. Deshalb kann ich dir zu meinem Bedauern keinen schicken. Die Familie ist wohlauf.«
    Nachdem er geendet hatte, breitete sich Schweigen aus, wie erstarrt saßen sie da. Bis Avigail »
Halla!
« wisperte und ein Schutzzeichen in die Luft malte.
    Elias schaute seine Mutter an. »Und was jetzt?«
    Sie reckte das Kinn. »Ich habe noch eine Cousine. In Damaska. Wenn sie sich außerstande
sieht, einen Sohn herzuschicken, wird sie bestimmt jemanden finden, der das kann. Und ab sofort werde ich
zwei
anfordern, denn auch Tamar muss verheiratet werden.« Sie wandte sich an David: »Ich werde dir einen Brief diktieren.«
    »Wenn du erlaubst, Herrin«, erwiderte dieser, »würde ich vor Aufnahme des Diktats gern baden und beten. Mein Sklave und ich haben eine lange Reise hinter uns, und in meinem Beruf gilt es als respektlos, noch mit dem Reisestaub auf den Schultern zu Stift und Ton zu greifen.«
    »Dafür ist keine Zeit. Ich muss den Brief noch vor Sonnenuntergang in die Karawanserei bringen.«
    David verbarg seinen Unmut und gab Nobu ein Zeichen, worauf dieser den Kasten brachte, in dem sich Schreibzubehör und anderes befand. Als Erstes holte David eine aus einem Dioritblock gemeißelte Götterstatue heraus, die nicht größer als eine männliche Hand war. Der Gott war in sitzender Position und mit über der Brust gekreuzten Armen abgebildet. Er trug einen Bart und auf dem Kopf einen Turban; sein langes Gewand war mit keilförmigen Symbolen beschriftet, die ihn als Shubat auswiesen, den Gott der Weisheit, des Wissens und des Schreibens. Seine starren und unnatürlich großen Augen wiesen auf seine Göttlichkeit hin. Ohne Shubats Gegenwart nahm David kein Diktat auf.
    »Soll ich Ton nehmen oder Papyrus, Em Elias?«, fragte er. »Und in welcher Sprache wünschst du die Niederschrift?«
    »Ton«, sagte sie. »Kanaanäisch.«
    David bat um Wasser. Als es gebracht wurde, betete er leise zu Shubat, während er dem Kasten ein versiegeltes Päckchen entnahm. Er öffnete es, und zum Vorschein kam ein Klumpen feuchten Tons, dem er etwas Wasser zufügte und dann so lange knetete, bis er in geeigneter Form in seiner linken Handfläche lag und feucht genug war, sich prägen zu lassen.
    Er wählte aus seinem Schreibzubehör ein scharfkantiges Schilfrohr, nahm es in die rechte Hand, murmelte »Shubat führe meine Hand« und

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