Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
nichtsnutziger Neffe dereinst die Krone von Ugarit tragen würde. Es kümmerte Zira nicht, dass König Shalaam beim Volk ungeheuer beliebt war und man seinen Namen auf Schritt und Tritt pries. Sie war nicht davon abzubringen, dass ihr Sohn ein besserer König sein würde. Soll sie sich doch ihre Träume und Vorstellungen bewahren, sagte sich Jotham, solange sie ihn nicht damit behelligte und er Leah für sich hatte.
»Du gehst zu weit!«, legte Elias unter Verzicht auf Formalitäten und Etikette los, als Jotham das Atrium betrat. David und Nobu, die eine heftige Auseinandersetzung heraufziehen sahen, blieben diskret im Hintergrund.
»Dagon ist mein Zeuge, dass ich dich gewarnt habe«, keuchte Jotham, der wegen seines Leibesumfangs, der im vergangenen Jahr noch zugenommen hatte, an Kurzatmigkeit litt. »Du hättest meine Worte beherzigen sollen. Du hast mich beleidigt. Du hast zugelassen, dass mich deine Tochter beleidigt. Deine Mutter hat meine Schwester gekränkt. Ich verlange Genugtuung.«
Er zog aus den Falten seines purpurnen Gewandes die Tontafel, auf der der ursprüngliche Auftrag für die Amphoren einschließlich Elias’ Siegel vermerkt war und die Jotham Thalos für einen höheren Preis abgekauft hatte. »Du wirst mir dieses Gold sofort bezahlen. Wenn nicht, bringe ich dich vor Gericht.«
Wie durch einen vor Wut rot gefärbten Nebel warf Elias einen Blick auf die Tontafel. Zunächst brachte er keinen Ton heraus. Schließlich sagte er: »Also gut, dann schicke ich meinen Verwalter zum Zahlhaus. Wir werden das noch heute bereinigen, und dann sind wir quitt.«
»Bevor du zu überheblich wirst«, sagte Jotham und zog zwei weitere Tafeln mit Keilschrift aus seinem Gewand, »wirst du mir auch diese Schulden begleichen.«
Elias war wie vom Blitz getroffen. Dann begriff er, was Jotham vorhatte: alle Schuldscheine von Elias aufzukaufen und umgehend auf Bezahlung zu bestehen. Dann wäre er ruiniert.
»Elias, der du dereinst mein Freund warst«, sagte Jotham jetzt mit ernster Miene, »diese
Schuldscheine werde ich vernichten, wenn du mir Leah zur Frau gibst. Denk darüber nach. Solltest du mit meinen Bedingungen nicht einverstanden sein,
werde
ich dich ruinieren. Wenn du dich dann gezwungen siehst, dich und deine Familie als Sklaven zu verdingen, werde ich Leah kaufen. Meine ehrenwerte Ehefrau wird sie dann allerdings nicht mehr sein, sondern vielmehr meine kleine Dienerin der Lust. Die Entscheidung liegt ganz bei dir.«
Ungeduldig wartete Avigail am Eingang zum Anwesen ihres Sohnes auf dessen Rückkehr. Kurz nach der Ankunft des neuen Schreibers war er heute Morgen aus dem Haus gestürmt, um mit Thalos dem Minoer etwas Geschäftliches zu klären. Eigentlich sollte er längst zurück sein. Außerdem musste Avigail umgehend die Fähigkeiten des neuen Schreibers in Anspruch nehmen. Eine Botschaft aus Sidon war eingetroffen, und sie wollte so schnell wie möglich erfahren, was sie besagte.
Hoffentlich waren es gute Nachrichten – dass ein Mann für Leah auf dem Weg hierher war! Sie würden unverzüglich die Verlobung bekanntgeben und, statt das übliche Jahr bis zur Eheschließung abzuwarten, in etwa drei Monaten – das sollte ausreichend sein – für Elias’ und Hannahs Erstgeborene die Hochzeit ausrichten.
Danach wollte sich Avigail umgehend mit Tamar befassen. Sie machte sich Sorgen um ihre mittlere Enkeltochter. Das Mädchen war in letzter Zeit auffallend still und kapselte sich ab, und auch wenn sie behauptete, es fehle ihr nichts, weinte sie viel.
Sie behielt die Straße im Auge. Berittene Soldaten zogen vorbei, Familien auf Eseln, Schafhirten, die ihre Herde trieben, Adelige in verhängten Sänften auf dem Weg zu Freunden. Jetzt tauchten mehrere zerlumpte Gestalten auf, die wegen ihrer rot-braun gestreiften Gewänder als Angehörige des Stammes der Habiru auszumachen waren.
Avigail konnte sich nicht erklären, woher ihre Abneigung gegen die Habiru stammte und weshalb sie sich in Gegenwart dieser Wüstenbewohner stets unwohl fühlte. Sie lebten in Zelten, waren nirgendwo zu Hause, hingen einem Glauben an, in dem es lediglich einen einzigen Gott gab. Der noch nicht einmal ein Gesicht hatte! Man stelle sich vor – nur ein einziger unsichtbarer Gott! Es hieß, die Habiru beteten einen brennenden Busch an und ihr einziges Symbol sei ein siebenarmiger Baum. Außer einem entfernten Ahnen im alten Ur hätten sie keine Wurzeln. Angeblich blieben sie unter sich und hielten geheimnisvolle Rituale ab. Woher
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