Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
über das bartlose Gesicht. »Lieber Freund und Bruder, die Götter sind meine Zeugen, ich konnte nicht ablehnen! Wie du weißt, habe ich vier Töchter im heiratsfähigen Alter und muss jeder eine Aussteuer mitgeben. Als Jotham sich erbot, deinen Schuldschein für den eineinhalbfachen Betrag zu übernehmen, konnte ich schlecht nein sagen!«
In Elias loderte Empörung auf, verebbte aber ebenso schnell wieder. Er konnte Thalos keinen Vorwurf machen. Vier Töchter – vier Aussteuern! Verständlich, dass er auf ein solches Angebot eingegangen war. Vielleicht hatte Jotham ihn zusätzlich unter Druck gesetzt. So viele Gefäße, Becher, Krüge, Kannen und Amphoren aus Keramik, die in diesem Betrieb hergestellt wurden. Wenn Jotham sich weigerte, sie auf seinen Schiffen in fremde Länder zu bringen …
Als er sich zum Gehen wandte, legte Thalos ihm die Hand auf den Arm. »Gib auf dich acht, mein Freund und Bruder«, sagte er ernst. »Stell dich unter den Schutz Dagons.«
»Es ist Jotham, der Dagons Schutz benötigen wird«, knurrte Elias und eilte zurück zu seiner Sänfte.
Das hochherrschaftliche Haus von Jotham und Zira thronte auf einer Anhöhe oberhalb des Hafens. Von hier aus konnte Jotham nicht nur seine Flotte im Auge behalten, sondern auch die Launen des Meeres. Ugarit war ein wichtiger Knotenpunkt für die Schifffahrt, und Jotham hatte den Platz an ihrem Puls inne, beobachtete jede kleinste Veränderung auf dem Wasser, ob es nun Gefahren verhieß oder sich wohlwollend gab. Schon deshalb pflegte er täglich Yamm, dem kanaanäischen Gott des Meeres, ein Opfer darzubringen und zur Sicherheit auch Baal, dem Gott des Himmels und des Regens.
Er war gerade dabei, im Schrein seines Hauses Weihrauch zu entzünden, als sein Oberster Verwalter eintrat und den Besuch von Elias dem Winzer vermeldete.
Der Schiffbauer grinste hämisch. Ein Jahr war es her, dass sich die beiden zuletzt gesehen hatten. Dass Elias nach Präsentation des Wechsels – Gold für die Amphoren – bei ihm vorsprechen würde, war abzusehen gewesen.
In den Monaten nach jenem für ihn so ärgerlichen Abend war Jothams Wunsch, die Tochter des Winzers zu besitzen, noch größer geworden. Liebe empfand er für Leah nicht, auch keinerlei Zuneigung. Sein Begehren war elementarer und fleischlicher Natur. Er wollte Leah in seinem Bett haben. Und je länger Elias durchhielt, desto mehr gierte Jotham nach dessen Tochter. Jetzt sah es so aus, als würde sie bald ihm gehören.
»Er soll im Atrium warten«, beschied er den Verwalter und begab sich in seine Gemächer, von denen aus er auf das blaugrüne Meer, auf weiße, in einer frischen Brise dahintreibende Wolken sah und das Lärmen vernahm, das vom betriebsamen Hafen aufstieg.
Er ließ sich Zeit, schwere Goldringe an seine Finger zu stecken, seinen Bart zu parfümieren, sich einen goldenen Reif auf Haupt und Stirn zu drücken, allen Zierrat eines ungemein wohlhabenden Mannes. Als er sich noch einen purpurnen Umhang um die Schultern drapierte, befand er, er sehe geradezu wie ein König aus. Er wollte seinen Sieg über Elias auskosten.
Er eilte durch marmorne Säle, wo Sklaven beiseitetraten, um ihn vorbeizulassen. Gut, dass Zira nicht zu Hause war. Seine Schwester konnte es einfach nicht lassen, sich in die Angelegenheiten von Männern einzumischen. Das war ihr nicht unbedingt vorzuwerfen, wenn man bedachte, dass ihre Mutter gestorben war, als beide noch Kinder waren, und Zira, obwohl jünger als Jotham, deren Rolle übernommen hatte. Er nahm ihr nicht übel, dass sie ihn bevormundete. Hin und wieder enthob ihn das sogar manch schwerwiegender Entscheidung. Hinsichtlich der ältesten Tochter des Winzers jedoch wollte Jotham das letzte Wort behalten.
Ziras Drängen, Jotham solle mit Leah die Ehe eingehen, hatte nämlich ganz andere Gründe. Sie schätzte das Haus des Elias nicht, aber Avigail, die Mutter von Elias, gehörte als Nachkömmling des legendären Königs Ozzediah einer unbestritten hoch angesehenen Blutlinie an. Durch Einheirat in diese Blutlinie würden Jotham und seine Familie einen höheren Status erlangen und Ziras Sohn den Weg zum Thron von Ugarit ebnen. Und weil für Ugarits Könige nicht die Abstammung den Ausschlag gab, sondern die Stimmen der begüterten und mächtigen Familien Kanaans, musste um sie geworben werden. In dieser Mission war Zira im Augenblick unterwegs.
Das war es auch, dachte Jotham, wofür seine Schwester lebte – Tag und Nacht dafür zu sorgen, dass sein
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