Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
gute Beziehungen, aber nach ihrem Streit wagte David nicht, sich auch nur an einen von ihnen zu wenden. Die Situation würde sich nicht ändern, wenn er sich nicht entschuldigte – und das war ausgeschlossen. Bei der Auseinandersetzung war es um seinen Status als Schriftgelehrter und Krieger gegangen.
Seit frühester Kindheit war David neben dem Studium seiner Bücher in der uralten Form der Selbstverteidigung – Zh’kwan-eth genannt – unterwiesen worden, deren Wurzeln bis weit zurück in die Zeit reichten, da das Militär Schriftkundige mit in die Schlacht nahm, auf dass diese ihre Eroberungen für alle Zeiten schriftlich festhielten. Da der Schreiber einer der Wichtigsten in der Armee war und wenn er fiel, dies bedeutete, dass die Tapferkeit eines Königs in den historischen Aufzeichnungen nicht in vollem Umfang gewürdigt wurde, erhielten diese Schreiber eine Ausbildung in Selbstverteidigung – allein schon deswegen, weil sie auch in die geheimen Strategien und Pläne der Armee eingeweiht waren. Geriet ein Schreiber in Gefangenschaft, drohte ihm Folter, um ihm diese Informationen zu entlocken. Niemand wusste um die Ursprünge von Zh’kwan-eth, einer harten und anspruchsvollen Kampfdisziplin, die in der Bevölkerung große Bewunderung genoss. David hatte sich durch seine Kunst, Dolche so waghalsig wie präzise zu werfen, einen Namen gemacht. Derart blitzschnell und zielsicher wusste er die Waffe zu führen, dass man von überall herbeiströmte, um solchen Vorführungen beizuwohnen.
In die Armee seines Vaters einzutreten, hatte David dagegen abgelehnt. Ihm stand nicht der Sinn nach Kriegsgetümmel, er mochte weder an Kampfhandlungen teilnehmen noch sie aufzeichnen. Er verspürte eine höhere Berufung. Und genau über diese Berufung und Davids Weigerung, Soldat zu werden, war es, ehe er nach Lagasch zog, zu einer bitteren Auseinandersetzung gekommen. Er hatte seinen Vater nicht nur enttäuscht, der König hatte zudem erklärt, sein Sohn habe ihn und die Familie entehrt.
»Haben wir das richtig verstanden«, unterbrach Nobu Davids Gedanken, »was der Schiffbauer
Elias vorwarf? Dass ihm die Tochter deines neuen Dienstherrn versprochen war und ihre Familie dann einen
Rückzieher
machte?«
David antwortete nicht. Familienangelegenheiten gingen Nobu nichts an. Nach dem Besuch bei Jotham hatte Elias erklärt, Jothams Verärgerung sei darauf zurückzuführen, dass es nicht zu einem Ehevertrag gekommen sei. Da jedoch eine diesbezügliche Zusage noch gar nicht erfolgt sei, sei auch kein Vertrag gebrochen worden, weshalb Jothams Anschuldigungen jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrten.
Angesichts des Zorns und der Rachsucht des Schiffbauers musste aber noch mehr vorgefallen sein. Wenn nicht rechtliche Gründe die Ursache dafür waren, dann vielleicht persönliche?
»Meister, überleg doch mal, was die Frau dir diktiert hat!«, gab Nobu zu bedenken. »Sie
bittet um Söhne! Dies hier ist ein Haus voller
Frauen
! Meinen die etwa, wir hätten keinen Stolz? In Lagasch, wo Väter über ihre Kinder bestimmen und Töchter
gehorchen,
wäre so etwas undenkbar! Meine Stimmen raunen mir zu, dass wir diesen Ort hier so schnell wie möglich verlassen sollten!« Er packte die restlichen Sachen aus und legte die Tunika und den Umhang seines Herrn für den Abend zurecht. Er selbst würde den angrenzenden kleineren Raum beziehen, schon um sofort zur Stelle zu sein, wenn sein Meister seiner bedurfte. Mit langsamen, geübten Bewegungen verrichtete Nobu seine Pflichten, reckte bei jedem Schritt den Kopf mit den blinzelnden Schildkrötenaugen vor, nicht ohne zwischendurch vor sich hin zu murmeln. Die Stimmen in seinem Kopf empfand er hier in Ugarit ebenso laut wie in Lagasch. »Wie du eine neue Stellung und Unterkunft findest, ist mir allerdings schleierhaft.«
Nicht anders erging es David. Dennoch sagte er: »Mir wird schon etwas einfallen«, ohne zu wissen, was das sein mochte.
Nobu strich sich über den Bauch. »Wann werden wir eigentlich zum Abendessen gerufen? Auch gegen einen Becher Wein hätte ich nichts einzuwenden.« Mürrisch grunzend stellte er Davids zweites Paar Sandalen vor das Bett und sagte: »Ich werde mal nachsehen, ob ich jemanden auftreiben kann.«
»Nein. Überlass das mir.« Die Lampe in der Nische hatte kein Öl mehr, und ohne eine reinigende Flamme konnte David nicht zu Shubat beten. Er warf sich den Umhang über die linke Schulter und verließ die Kammer, derweil Nobu seinen flüsternden Stimmen murmelnd
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