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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Selber hatte sie noch gar nicht daran gedacht, die Götter um Hilfe zu bitten. Jetzt aber spornte Davids unerschütterliches Vertrauen in das Göttliche sie an.
    Sie musterte den alten Maulbeerfeigenbaum in der Mitte des Gartens, der zwar tot und unbelaubt, aber doch ein Baum war. Und der Baum war das Symbol Asherahs.
    Ja!, sagte sie sich.
    Sie wandte sich dem verwitterten Stamm zu, breitete die Arme aus und betete leise: »Gesegnete Asherah, ich bitte dich um Verzeihung für meinen Ungehorsam vor einem Jahr. Ich habe es den Gästen meines Vaters und damit ihm gegenüber an Respekt fehlen lassen. Das tut mir aufrichtig leid. Von jetzt an, Gesegnete Asherah, werde ich meinem Vater, deinem Willen und den Gesetzen der Götter gehorchen. Nur bitte ich dich, du unser Aller Mutter, dass du es dafür in deinem freigebigen Herzen möglich machen kannst, die Ehre und das Wohlergehen meiner Familie wieder ganz so aufzurichten, wie es vor jener Nacht war, in der durch mein ungehöriges Benehmen das Unglück über unser Haus hereinbrach.«
    Aber selbst als sie bei ihrem Gebet die Stimme hob, wusste sie, dass ihr Versprechen, sich fortan zu fügen, nicht ausreichen würde, um ihre Familie zu retten. Sie musste die Götter von ihrem Gehorsam überzeugen. Und deshalb ging mit der unbestimmten Hoffnung plötzlich die panische Angst einher, dass man sie einer schweren Prüfung unterziehen würde, die zu meistern sie weder die Kraft noch den Mut aufbringen würde. Und dass sie, weil sie nicht wusste, was für eine Prüfung das sein mochte oder wann sie auf sie zukommen könnte, sie nicht als solche erkennen und deshalb auch nicht bestehen würde!
    Vielleicht war es das, was sie mehr als alles andere befürchtete.

4
    Der Flüchtige wartete, bis Kapitän und Mannschaft außer Sichtweite waren und nur noch ihr lautes Gelächter zu den Sternen emporstieg. Sie peilten die nächste Taverne an, wo sie dem Wein zusprechen und sich mit den Frauen aus der Gegend vergnügen wollten. Man hatte ihn aufgefordert, mitzukommen, aber er hatte abgelehnt.
    Er war in der Küstenstadt Sidon an Bord gekommen, wo der Kapitän des Schiffes hatte anlegen müssen, weil er bei einem Unwetter einen Teil seiner Besatzung verloren hatte. Um Arbeitskräfte verlegen, hatte er keine Fragen gestellt, was dem Flüchtigen nur recht gewesen war. Ohne viel zu reden, tat er, was ihm angeschafft wurde, ob auf der Ruderbank oder beim Setzen der Segel. Im Hafen von Ugarit schließlich hatte er beim Löschen der letzten Ladung – Leinen und Papyrus aus Ägypten – mit angepackt. Jetzt würde der Kapitän sein leeres Schiff mit Zedernholz aus den nahen Wäldern beladen und wieder nach Süden segeln.
    Der Flüchtige, ein Einzelgänger, warf einen Blick auf den Hafen, in dem Wasserfahrzeuge jedweder Größe und Herkunft ankerten, manche voller Menschen und hell erleuchtet, andere dunkel und verlassen. Die Hafenanlage war in Licht getaucht, das durch offene Türen, zusammen mit Musik und Gelächter, in die warme, feuchte Nacht drang. Mächtige Lagerhäuser zogen sich die Werft entlang, immer wieder unterbrochen von Gassen, die in die Stadt führten.
    Wohin er gehen sollte, wusste er nicht. In Sidon hatte er eine Familie ermordet und war nur mit dem, was er am Leibe trug, geflohen. Vor allem musste er sich ein Versteck suchen, weil der Fürst von Sidon mit Sicherheit die Behörden anderer Städte informieren würde, dass ein mehrfacher Mörder frei herumlief. Sollte er gefasst werden, würde man nicht lange fackeln. In Kanaan wurden Urteile umgehend vollstreckt.
    Er zog den Umhang, den er auf seiner Flucht aus Sidon auf einem Markt gestohlen hatte, fester um sich und steuerte auf eine erleuchtete Taverne an der Uferstraße zu.
    Er hatte es eilig, ein Versteck zu finden und sich einen neuen Namen zuzulegen.
    Seinen eigenen Namen kannte er nicht, er wusste auch nicht, wie alt oder wo er geboren war, ob seine Mutter ihn verkauft hatte oder ob er entführt worden war. Alles, woran er sich erinnerte, war, dass er in einem Käfig eingesperrt gewesen und von verschiedenen Männern vergewaltigt worden war. Sie hatten gelacht, wenn er gequiekt hatte, und ihn deshalb Ferkel genannt. Als er alt genug war, gelang ihm die Flucht; seither zog er durch die Gegend. Er hatte nie in Erfahrung gebracht, wo dieser Käfig gestanden hatte, in welcher Stadt oder Provinz, nur dass dort Wolle gefärbt wurde und dass, wenn die Männer zu seinem Käfig kamen und ihn zum Quieken brachten, ihre Körper von

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