Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
gewesen, wenn euer vorheriger Schreiber Shemuel meine Ankunft abgewartet hätte. Er sollte nämlich für meine Aufnahme in die Bruderschaft bürgen. Jetzt muss ich mir wohl oder übel einen anderen Bürgen suchen. Da ich in Ugarit fremd bin, weiß ich allerdings nicht, wie. Aber ich werde trotzdem mein Versprechen halten, deinem Vater zu dienen.«
»Gibt es niemanden in Ugarit, der dir helfen könnte?«
»Ich bin auf mich gestellt. Und aus persönlichen Gründen kann ich mich nicht an Freunde meines Vaters wenden.«
»In Ugarit leben sehr wohl Leute aus Lagasch. Vielleicht kennst du ja den einen oder anderen.« Sie hielt inne, musterte seine erlesene Kleidung, den Schmuck, die aufwendige Frisur. Er sei wohlhabend, ein Prinz von Lagasch, hatte Shemuel gesagt. Folglich kannte er nur Angehörige der Oberschicht. »Ein gewisser Izaak, der mit seiner Familie nicht weit weg von hier lebt und große Mandelbaumplantagen besitzt, stammt aus Lagasch.«
David dachte nach, schüttelte dann den Kopf. »An einen Izaak, der Mandeln anbaute, kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.«
»Dann gibt es noch einen Juwelenhändler, der unweit des Hauses des Goldes einen Laden hat. Er ist ebenfalls aus Lagasch und rühmt sich seiner Blutsverwandtschaft mit dem königlichen Haus. Sein Name ist Manthus.«
David runzelte die Stirn. Der Name kam ihm bekannt vor. Er durchforschte noch einmal sein Gedächtnis. »Bei Shubat!«, rief er plötzlich, »die Frau meines Onkels hat einen Bruder, der hier in Ugarit wohnt und tatsächlich mit Edelsteinen wie Karneol und Lapislazuli handelt. Ja, jetzt erinnere ich mich – sein Name ist Manthus. Das hatte ich völlig vergessen.«
Leah lächelte. »Ich kann dir beschreiben, wo er sein Geschäft hat.«
Versonnen sah David Leah an. »Ich glaube nicht an Zufälle«, sagte er nach einer Weile.
»Unsere persönlichen Götter begleiten uns unser Leben lang auf Schritt und Tritt. Es ist also kein Zufall, dass ich in diesem Garten gelandet bin, sondern Shubat hat mich hierher geführt, damit wir beide uns begegnen. Und jetzt weiß ich auch, was ich als Nächstes tun werde. Gleich morgen werde ich Manthus dem Karneolhändler meine Aufwartung machen. Da wir mütterlicherseits verwandt sind, wird er mir seine Hilfe nicht versagen. Das ist selbst für weitentfernte Verwandte Ehrensache. Und vielleicht, Bat Elias, kann ich durch meine Verbindung mit Manthus auch
deiner
Familie helfen.«
»Ich heiße Leah«, sagte sie leise.
Er lächelte. »Ich danke dir für deine Hilfe, Leah. Ich weiß, dass ich morgen erfolgreich sein werde, denn Shubat, mein Beschützer und Lenker, wird mich geleiten. Er hat mich noch nie im Stich gelassen. Jetzt muss ich aber gehen. Friede sei mit dir.
Shalaam.
«
Aber noch rührte er sich, wie von unsichtbaren Fesseln gehalten, nicht von der Stelle. Es
schien nicht genug zu sein, Hilfe zuzusagen und zu versprechen, hierzubleiben. Irgendwie drängte es ihn, diesem Mädchen, das ihm geradewegs in die Seele zu blicken schien, noch viel mehr zu sagen. Es war, als hielte die Erde den Atem an, als hätte sich ein Zauber in diesen vernachlässigten kleinen Garten eingeschlichen. War es wirklich erst heute Morgen gewesen, dass er Ugarit betreten hatte? Es kam ihm nicht so vor.
Er
kam sich verändert vor. Er war mit Plänen und voller Ehrgeiz und einem festumrissenen Ziel in diese ihm unbekannte Stadt gekommen. Aber in welch kurzer Zeit sich so vieles verändert hatte! Dieses bezaubernde Mädchen war in sein Leben getreten. In Lagasch hatte es auch hübsche und charmante junge Mädchen gegeben, Mädchen, die gehofft hatten, einen Mann wie ihn zu heiraten. Leah dagegen schäkerte nicht wie andere Mädchen herum, schien – im Gegensatz zu ihrer Großmutter – nicht auf der Jagd nach einem Ehemann zu sein. Sie schien, so Davids Eindruck, ihn nicht als Heiratskandidaten in Betracht zu ziehen, sondern uneigennütziges Interesse für ihn zu hegen. Was er als eigenartig, wiewohl schmeichelnd empfand.
»
Shalaam
«, murmelte er nochmals und nickte ihr zu, ehe er widerstrebend den Garten verließ.
Leah sah ihm hinterher. Es war ihr, als sei die Luft geladen mit einer Energie, die er wie
ein warmes Fleckchen auf dem Gras zurückgelassen hatte und das auch noch Wärme verbreitete, nachdem die Sonne hinter einer Wolkenbank verschwunden war. Davids leidenschaftlicher Glaube beeindruckte sie tief. Andere redeten über Götter, plapperten Gebete, aber aufrichtige Hingabe
gesehen
hatte sie noch nie.
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