Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Verwandte in Erfahrung bringen wollte?
    »Sie haben mich praktisch dafür bezahlt, dass ich komme«, hatte der Mann aus Damaska gesagt. Hörte sich an, als ob die Familie verzweifelt sei. Eine hässliche oder entstellte Tochter hätte.
    Das machte dem Flüchtigen nichts aus. Für ein angenehmes Leben, ein Dach über dem Kopf und genug zu essen – und ein Versteck, wo ihn niemand finden würde – würde er auch ein Schwein heiraten. Er grinste über die Ironie, die darin lag. Er würde es sich gutgehen lassen, bis er zwangsläufig die Braut zum Quieken bringen musste, und dann weiterziehen.
    Er löschte die Öllampe, legte sich ins Bett. Caleb, sagte er sich, war ein Name so gut wie jeder andere.
     
    Auch sechsmal tausend Schritt entfernt, an der südlichen Straße am Rande von Ugarit, schickte man sich an, zu Bett zu gehen.
    »Man nennt sie Liebesfrucht«, sagte Rakel, als Leah ihr sanft das lange weiße Haar kämmte. Es war bereits spät. Rakel ließ sich nicht gern von einer Sklavin ihr Haar für die Nacht zurechtmachen. Wegen ihrer empfindlichen Kopfhaut schätzte sie die zarte Hand ihrer Großnichte. »Weil die Alraune das Blut des Mannes erhitzt und den Leib der Frau erregt. Aber nimm dich in Acht, wenn du die Alraune erntest, Liebes. Sie muss vorsichtig aus dem Erdreich gezogen werden. Wenn sie herausgerissen wird, schreit sie, und es heißt, dass diejenigen, die die Schreie der Alraune hören, dem Wahnsinn verfallen. Mein Ari und ich genossen regelmäßig einen aus der Liebesfrucht hergestellten Trank, und das Ergebnis war mein Yacov. Er studiert Rechtskunde. Mein Sohn wird nämlich mal Anwalt.«
    »Wir sind alle sehr stolz auf Yacov, Tante«, sagte Leah und legte den Kamm beiseite. Es widerstrebte ihr zu lügen, aber wenn sie merkte, wie glücklich die Greisin war, wenn sich die Großnichte auf ihre Phantasiewelt einließ, waren solche Schwindeleien verzeihlich. »Und was kannst du mir über Heilung der Fallsucht erzählen?« Diese Frage stellte Leah tagtäglich. Dass sie darauf keine Antwort erhielt, war enttäuschend und machte sie stutzig.
    Zwei Monate und noch immer keine Antwort von der Cousine in Damaska. Der Sommer hatte seinen Höhepunkt erreicht, an den Rebstöcken reiften die Trauben, und im Hause des Elias herrschte eine gespannte Atmosphäre. Gab es auch in Damaska keine heiratsfähigen Männer? Oder aber reichte Jothams Giftstachel derart weit?
    Ein zusätzlicher Mann im Haus wäre willkommen. Elias stand allein in seinem Kampf gegen Jotham. Mit einem Schwiegersohn an seiner Seite, vor allem wenn er jung und stark war und vielleicht über Geld und Einfluss verfügte, würde sich Elias’ Position verbessern.
    Leahs Vater war indes nicht untätig geblieben. Er hatte umgehend Freunde aufgesucht und sie beschworen, standhaft zu bleiben und ihm nicht in den Rücken zu fallen. So weit wie möglich hatte er Schulden beglichen, noch ehe Jotham ihre Schuldscheine aufkaufen konnte. Die wenigen Geschäftspartner, die sich nicht von Jotham hatten beeinflussen lassen, bezahlte er in Form von Wertgegenständen, und er war weiterhin im Weingeschäft tätig; nach der diesjährigen Lese standen die älteren Jahrgänge zum Verkauf an, und dann würde Elias wieder über genügend Geld verfügen.
    Wenn sie so lange durchhielten. Das war ihrer aller Sorge. Denn inzwischen hatten drei weitere Kreditgeber ihre Wechsel an Jotham verkauft, und der legte sie jetzt Elias zur umgehenden Bezahlung vor. Nicht zuletzt deswegen hatte sich Leah erboten, Tante Rakel vor dem Schlafengehen das Haar zu kämmen. Sie musste schleunigst in Erfahrung bringen, wie Fallsucht geheilt werden konnte.
    Sie war sich sicher, dass Zira ihren Sohn derart abgöttisch liebte, dass sie im Austausch für ein Mittel, das ihn von seinem Leiden befreite, zu allem bereit sein würde – sogar dazu, ihren Bruder zu überreden, seinen Rachefeldzug gegen den Vater zu beenden!
    Aber die Rezeptur für dieses Heilmittel verbarg sich unter dem schlohweißen Haar, das Leah jetzt zu langen Zöpfen flocht.
    Wie der ägyptische Arzt im Haus des Goldes vorhergesagt hatte, zog sich Rakel immer mehr in die Vergangenheit zurück, sprach von ihr, als fände sie gegenwärtig statt. Auch Heilmittel und althergebrachte Hausmittel erwähnte sie, ohne näher darauf einzugehen. Wenn sie anfing, sich darüber auszulassen, welche Stelle sich besonders gut für das Pflanzen von Pfefferminze eignete, konnte es geschehen, dass sie gleich darauf erklärte, mit Weidenrinde