Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
strahlte. »Bitte nenn mich Großmutter, denn das werde ich ja bald sein.«
Sie klatschte in die Hände, dass die goldenen Armreifen an ihren Handgelenken klimperten. Gleich darauf erschienen Sklaven mit Platten voller Speisen. Auf dem niedrigen Tisch vor dem Ehrengast wurde ein Festmahl aufgetragen, dass ihm die Augen übergingen und ihm das Wasser im Munde zusammenlief: gebratene Schinkenstücke, warmes, mit Honig getränktes Brot, gebackener Fisch, der nach Knoblauch und Thymian duftete, in Öl gedünstete Kichererbsen und Linsen, eingelagerte Granatäpfel, die so gut wie frisch geerntete schmeckten. Dies alles begleitet von freizügigen Mengen süßen Weins.
Morgen, überlegte Avigail aufgeregt, morgen würde sie das neue Familienmitglied mit Ugarits Leibspeise verwöhnen: Blutwurst. Und ihm zu Ehren würde sie dieses Gericht persönlich nach ihrem eigenen Rezept zubereiten. Sie würde das Schweinefett würfeln, es mit Schweineblut, Zwiebeln und Gewürzen mischen und diese Masse dann in Darmhaut stopfen, die Enden zubinden und diese Würste dann über einem sorgsam abgestimmten Feuer kochen. Sie würde diese Aufgabe keinen Sklavinnen überlassen, die möglicherweise die Würste zu lange kochten und zu wenig Zwiebeln verwendeten.
»Greif zu«, forderte sie den Gast auf. »Ehre die Götter, indem du unser bescheidenes Mahl genießt.«
Caleb langte zu, schöpfte sich Kompott aus Birnen, Äpfeln und gerösteten Sesamsamen in den Mund und erklärte, dass Avigails Küche mit Sicherheit die beste in ganz Ugarit sei. Obwohl er in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war, hatte sich der Mann, der sich selbst als Chamäleon betrachtete, die Verhaltensweisen der oberen Klasse angeeignet, hatte sich Manieren angewöhnt und Etikette verinnerlicht, so dass es ihm leichtfiel, sich in den vornehmsten Familien beliebt zu machen. Dem Blick, den Avigail und Elias tauschten, entnahm er, dass sie über ihren Verwandten aus Damaska hocherfreut waren.
Während er kaute und schluckte, kamen drei Mädchen in den Saal, zurückhaltende Dinger, die sich den Schleier vors Gesicht hielten und ihn kurz von seinem Mahl abhielten, weil er sich überlegte, welche von ihnen wohl seine Braut sein mochte. Jede wurde dem Ehrengast vorgestellt, jede lüftete ihren Schleier, um mit leiser Stimme Caleb in der Familie willkommen zu heißen. Die Jüngste, die mit der gespaltenen Lippe, kam wohl eher nicht als seine zukünftige Ehefrau in Frage. Die mit dem feurigen Blick und dem herausfordernden Auftreten vielleicht? Dann aber fiel sein Blick auf die größte und eindeutig die älteste der drei. Er blinzelte. Für dieses Mädchen musste die Familie einen Ehemann kaufen? Was stimmte mit ihr denn nicht? Irgendein verborgener Makel wahrscheinlich. Oder eine scharfe Zunge. Vielleicht war sie ungehorsam. Nun, derlei Fehler würde er in kurzer Zeit zu beheben wissen.
Eine Frau mittleren Alters, umweht vom Duft eines eben genossenen Bads, betrat den Saal und begrüßte ihn. Anhand der Ähnlichkeit mit den Mädchen musste es sich um deren Mutter Hannah handeln. Dicht hinter ihr folgte ein junger Mann mit dunklem Teint und stolzem Gang sowie ein Sklave, der bei jedem Schritt ruckartig den Kopf vorstreckte. Dem Kasten nach zu schließen, den der Sklave an einem Riemen über der Schulter trug, war der junge Mann der Schreiber der Familie.
»Ah, hier ist David«, sagte Elias. »Nimm es mir bitte nicht übel, Vetter, es handelt sich lediglich um eine Formalität.«
Caleb nickte verständnisvoll. Der Schreiber würde seine, Calebs, Identität und Abstammung überprüfen, indem er eine spezielle Tafel studierte, die alle Geschäftsleute mit sich führten. Auf der Tafel waren sein Name sowie der seines Vaters und seines Großvaters vermerkt, sein Geburtsort, sein Wohnort, sein Beruf, ob er als freier Mann geboren war oder von gleichem Rang. Zum Schluss war sein eigenes Siegel in den noch feuchten Ton gedrückt worden. David besah sich die Tafel, erkannte das königliche Siegel von Damaska und verglich dann das persönliche Siegel des Mannes mit dessen großem Obsidian an der rechten Hand.
»Alles in Ordnung, Herr«, sagte er zu Elias, der die Tafel an Caleb zurückreichte.
Während Elias nach Wein für alle rief und dann erklärte, dass dies der Tag der offiziellen Verlobung sei, nahm David Platz und bereitete sich darauf vor, Elias’ Diktat aufzunehmen. Er bemühte sich, Leah nicht anzuschauen. Sein Blick hätte nur seine Enttäuschung verraten. Der
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