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Im Auge des Feuers

Im Auge des Feuers

Titel: Im Auge des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorun Thoerring
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dorthin geschafft hatte. Er stand in der Diele und trat sich die Stiefel ab, als seine Mutter angestürzt kam.
    »Gott sei Dank, da bist du ja!« Sie hatte vor Aufregung rote Flecken im Gesicht. »Du hast es sicher schon gehört?«
    Er blieb mit einem Stiefel in der Hand stehen, erstarrt und außerstande, den Rücken zu beugen, um ihn abzustellen.
    »Was denn gehört?« Es war seine Stimme, die sprach, aber fremd und wie aus weiter Ferne.
    »Du hast sicher gehört, wer vermisst wird?«
    Alle Kraft verließ seine Hand. »Karl Fjeld. Ich hab von Karl Fjeld gehört.«
    Die Mutter schüttelte hektisch den Kopf. »Nein, nicht er.« Sie sah ihren Sohn mit großen, vor Eifer geweiteten Augen an. »Hast du heute schon mit Sverre gesprochen?«
    Per stand immer noch aufrecht, aber musste sich mit einer Hand an der Wand abstützen. Er begriff, dass sie ihn auf das Schlimmste vorbereiten wollte. Nur wusste sie weder, wie sie es ihm beibringen sollte, noch was er bereits gesehen hatte. »Nein.«
    »Dann weißt du nicht, dass sein Vater verschwunden ist?«
    »Sein Vater?« Per atmete aus. »Sein Vater? Also ist nichts mit Sverre?«
    »Nein, nicht er, zum Glück. Sverre ist heute Nacht verstört und mit Verbrennungen unten am Kai gefunden worden. Sie haben allerdings keine Ahnung, was mit ihm passiert ist. Aber verschwunden ist sein Vater. Seit der vergangenen Nacht hat niemand etwas von Oscar Wikan gehört. Er wurde zuletzt in der Nähe von Fjelds Anlegestellen gesehen.«
    Sie hielt einen Moment inne, dann platzte es aus ihr heraus: »Sie befürchten, dass er in dem Bürogebäude gewesen sein könnte.Dass er ums Leben gekommen ist. Und erst jetzt wird nach ihm gesucht. In der Stadt habe ich gehört, dass seine Frau die Polizei erst heute Nachmittag verständigt hat.« Sie atmete tief ein und setzte schadenfroh hinzu: »Wollte wohl erst sicher sein, dass er auch wirklich abgekratzt ist.«
    Pers Augen weiteten sich, dann nickte er. Es war eine kurze, mechanische Bewegung.
    Die Erinnerung förderte ein weiteres Bruchstück zutage. In der Nacht, als er sich endlich aufgerappelt hatte, war er nicht gleich davongerannt. Per war langsam dem Mann mit der Schirmmütze gefolgt. Im Hinterhof von Fjelds Büro hatte Per die über Sverre gebeugten Gestalten gesehen.
    Noch ein Geheimnis, das Per keinem Menschen erzählen konnte.
    Erneut überkam ihn unsägliche Angst.
    »Das … hatte ich nicht gehört, nein«, murmelte er tonlos. »Nichts davon gehört. Nichts, nein. Ich hab nichts … hab nichts gehört. Nichts …«
    Und da dröhnten wieder die Stimmen in seinem Kopf, noch lauter als die der Mutter. Sein Mund plapperte drauflos, ein kläglicher Versuch, sie zu übertönen. Es gelang ihm nicht.
    »Hör auf, alles, was du sagst, hundertmal zu wiederholen, du Schwachkopf!« Ihre schweren Füße stampften auf den Boden, dass die Deckenlampe wackelte. »Ich werde verrückt , wenn ich dir zuhöre!«
    Er schwieg. Auch in seinem Kopf wurde es plötzlich ganz still. Nur sein Herz, das bis in die Gehörgänge hämmerte, war allzu deutlich zu vernehmen. »Ich glaub, ich werde mich etwas hinlegen. Ich habe die Nacht kaum geschlafen. Die ganze Nacht nicht.«
    Seine Mutter stoppte ihn in der Tür. »Von wegen. Du kannst dich jetzt nicht hinlegen. Die Polizei war hier und hat nach dir gefragt. Du sollst auf die Wache kommen. Zieh dir ein sauberesHemd und ordentliche Schuhe an. Und putz dir die Zähne. Du stinkst fürchterlich aus dem Mund, man könnte meinen, du faulst von innen.«
    Sie hatte den Mantel hervorgeholt, den sie nur zu besonderen Anlässen trug. »Ich komme mit. Die wollen wissen, ob du etwas darüber sagen kannst, was Sverre Wikan letzte Nacht gemacht hat.« Sie hatte sich schon den Hut auf den Kopf gesetzt. »Soweit ich verstanden habe, ist wohl kein vernünftiges Wort aus dem Jungen herauszubekommen.«

Kapitel 6
    28. Mai 1969, 15:00 Uhr
    Nach vierzehn Tagen im Krankenhaus kam Sverre Wikan in Fjelds schwarzem Mercedes nach Hause. Sverre saß zwischen seiner Mutter und Andreas Fjeld auf dem Rücksitz. Vorne ein Chauffeur, die Familie Fjeld konnte sich Personal leisten.
    Sverre wirkte wie ein Schatten seiner selbst. Er war aschfahl und erschien noch dünner als zuvor. Als er aus dem Auto stieg, ruhte Fjelds breite Hand auf seiner Schulter. Die Wiedersehensfreude, die Per und seine Freunde erwartet hatten, war nicht zu spüren. Sverre wurde von Fjeld zur Haustür geleitet, blieb nur einen Augenblick stehen und warf seinen Freunden einen

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