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Im Auge des Feuers

Im Auge des Feuers

Titel: Im Auge des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorun Thoerring
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mehr geschenkt worden. Per hatte sich über die Jahre hinweg angewöhnt, sich innerlich zu verhärten, sobald jemand mit ihm sprach. Karl Fjelds ruhige Aufmerksamkeit ließ Per weich und fast augenblicklich nüchtern werden. Karls wache, erstaunte Augen hinter den Brillengläsern. In Karls Blickfeld gab es nur ihn, Per Andersen. Es fühlte sich an wie eine Umarmung, ungewohnt und gut. Karl Fjeld war Per wohlgesonnen. Als wäre er ein gütiger Onkel oder ein älterer Bruder für Per.
    Ein Damm war gebrochen. Pers Worte waren ungehemmt hervorgeströmt. Er hatte nicht geglaubt, dass er sich so kristallklar an jenen Tag erinnern könnte.
    »Das Grab ist offen«, sang er jetzt halblaut. »Fjeld!« Pers Ruf hallte in der Dunkelheit wider, während er die Zigarette mit dem Absatz zertrat. »Hör, was ich sage, Fjeld! Du auch, Wikan!« Er schrie immer, wenn er getrunken hatte. Das tat gut, es fühlte sich an, als ließe man Druck ab. Nüchtern war er stumm wie ein Fisch. Die Worte sprudelten proportional zum Anstieg der Promille hervor. Ein Seemannsknoten, den nur der Alkohol lösen konnte.
    Abrupt wurde Per wieder ernst und blinzelte ein paar Mal mit den Augen, während er sich zu erinnern versuchte. Oscar Wikan war auf jeden Fall tot. So viel war klar. Wie es sich zugetragen hatte, dass Karl Fjeld das Gebäude mit Wikans Jacke und Schirmmütze verlassen hatte, war Per ein Rätsel.
    Bis heute hatte Per keiner Menschenseele etwas davon erzählt. Es hatte ihn unablässig gequält, sein Geheimnis mit niemandem teilen zu können. Es sich selbst nicht erlaubt zu haben. Selbst der Polizei gegenüber hatte Per geschwiegen. Oscar Wikan und Karl Fjeld waren ja tot aufgefunden worden, man hatte also offiziell nicht mehr über deren Verbleib spekulieren müssen. Ebenso wenig hätte Per auch nur ein Sterbenswort über die Dame mit dem Tuch vor dem Mund verloren. Per hatte in der Brandnacht lediglichihren Rücken gesehen, bevor sie in Fjelds Bürogebäude verschwunden war. Wieso von ihr sprechen? Keiner hatte sie in irgendeinem Zusammenhang erwähnt. Es würde bloß Ärger geben, wenn man zu viel sagte. Außerdem brauchten sie nicht noch mehr Vorwände, um ihn als »komisch« abzustempeln.
    Per legte den Kopf zurück und schaute hinauf in den Sternenhimmel. Wie der Funkenregen von damals. Splitter in Orange. Trockenes, altes, in Brand gestecktes Holz. Jeden Herbst und Winter, wenn er bei klarem Wetter zu den Sternen hinaufblickte, sah er da oben die Flammenhölle. Er hatte nie aufgehört, daran zu denken.
    Bei der Befragung im Jahr 1969 hätte er den zugeknöpften Ermittlern eine Menge erzählen können. Aber die kühle Distanz und die unergründlichen Gesichter der Männer hatten Per gehörig eingeschüchtert. Mehr sogar als der alte Oberlehrer. Und dann noch die Worte der Mutter, die sie ihm ins Ohr gezischt hatte, als sie auf der Polizeiwache warteten: »Jetzt musst du dir wahrhaftig überlegen, was du da drinnen sagst, Junge! Und sieh zu, dass du den glotzenden Ausdruck aus dem Gesicht wegbekommst. Du willst ja wohl nicht, dass sie merken, wie dumm du wirklich bist.«
    Die Angst war wie flüssiges Magma in ihm aufgequollen. Als er endlich hereingerufen worden war, schien sie zu einem schweren, unbeweglichen Kloß erstarrt gewesen zu sein. Jedes Wort war im Ansatz erstickt. Per war still gewesen.
    Ganz und gar stumm, bis jetzt. Nur nicht gegenüber seiner Mutter, natürlich. Nach und nach hatte sie große Teile der Geschichte aus ihm herausgeholt. Den bedrohlichsten Teil allerdings hatte er eisern für sich behalten: dass er Karl Fjeld lebendig von dort weggehen gesehen hatte.
    Nun fror er richtig und musste einen Unterschlupf finden. Nach Hause in die Elvegata zu gehen kam nicht in Frage. Nach diesem Erlebnis wollte Per auf keinen Fall seiner Mutter begegnen.Sie würde es ihm sofort ansehen. »Heraus damit, Junge! Was ist los?« Junge . Er war über fünfzig.
    Per lief dicht an der Wand des Neubaus entlang. Er hatte ein Ziel. Eine der Türen war nicht ordentlich verschlossen. Seine Hände strichen am Holz entlang, danach über seine Jackentaschen. Noch nie in seinem Leben hatte er eine so überraschende und großzügige »Spende« erhalten wie heute. In den Innentaschen steckten zwei Flaschen. Manchmal wunderte er sich, was wohl in den Leuten vorgehen mochte. An einem Tag wurde man keines Blickes gewürdigt. Am nächsten bekam man einen Hinweis auf gute Übernachtungsmöglichkeiten, wobei ein Fünfhundert-Kronen-Schein in die Tasche

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