Im Auge des Feuers
Schutzschild vor dem Gesicht. Die Hitze war unerträglich. Sein Ärmel fing Feuer.
Die Nachtluft war himmlisch kühl. Sverre hörte Stimmen. Leute standen um ihn herum.
Die Angst zu ersticken steckte ihm noch in den Gliedern. Aber er war jetzt draußen.
Er erinnerte sich schemenhaft an zwei Fäuste. Sie hatten ihn am Jackenkragen gepackt, zu einem Schneehaufen geschleppt und darin so lange herumgewälzt, bis die Flammen erloschen waren.
Da war auch der Bruder des Kerls, der vermutlich immer noch im Keller lag. Eine nach Schnaps stinkende Kehle flüsterte direkt an Sverres Ohr: »Was faselst du da, Junge! Phantasierst du? Was, verdammt, sagst du, ist da drinnen passiert?«
Die Worte drangen nicht bis zu ihm durch. Sein Gesicht tat höllisch weh und das linke Augenlid gehorchte nicht mehr. Wiederrang er nach Luft. Dann glitt er in einen undefinierbaren Nebel.
Ein hoher, schriller Pfeifton holte Sverre zurück. Wie aus weiter Entfernung vernahm er einzelne Sätze.
»Warum bleibst du hier stehen? Wartest du auf jemanden, Jens? Hier ist niemand, glaub mir. Ich denke nicht, dass du hier stehen bleiben solltest. Es kann gefährlich für dich werden, das Feuer breitet sich aus. Komm lieber mit mir, lass uns hier langgehen. Sie kommen jetzt und kümmern sich um Sverre.«
Die Schritte verhallten und neue Schritte näherten sich schnell. Dann wurde alles schwarz.
Kapitel 68
4. November 2007
»Gunhild hat jetzt den Schleier ein Stück weit gelüftet, aber mir reicht das noch nicht.« Eira klang ungewöhnlich ungeduldig. »Wo ist übrigens Rita? Wir müssen täglich zu ihr in Kontakt treten. Damit können wir sie zumindest indirekt überwachen.«
»Ich kann dir darauf leider keine eindeutige Antwort geben«, räumte Berger ein. Ihr Haar war zerzaust und der Pferdeschwanz hing schief. »Dieser Medienrummel wird Rita den Rest gegeben haben. Jetzt weiß jeder, dass Frank Eide in Karls Grab gefunden worden ist. Und Rita ist abgetaucht. Sie geht weder an ihr Handy noch an ihren Festnetzanschluss. Seit gestern hat keiner mehr mit ihr gesprochen.«
»Schick jemanden zu ihr nach Hause«, ordnete Eira an. »Und wenn sie dort nicht ist, könnte sie vielleicht zu ihrer Hütte gefahren sein.«
Er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte, erhob sich und begann, zwischen Schreibtisch und Fenster hin und her zu laufen. »Diese zwei abgerissenen Individuen, Jens Eide und Per Andersen, von denen sonst niemand Notiz genommen hat, besaßen wahrscheinlich den Schlüssel zur Lösung des Ganzen, ohne sich selbst darüber im Klaren gewesen zu sein.
Bei beiden haben die Erinnerungen sozusagen auf dem Grund des Gedächtnisses gelegen. Jahrzehntelang wurden sie nicht angetastet. Der Alkohol hielt sie zuverlässig unter Verschluss. Erst als Karl Fjeld wieder auftauchte, gefolgt von Gunhild und nicht zuletzt einem neuen Brand, begannen sich die alten Erinnerungen zu regen. Sie stiegen langsam, aber sicher an die Oberfläche.
Deshalb ist Per Andersen tot. Ebenso Magni. Ich wette einen Monatslohn darauf, dass auch Jens deswegen im Wasser gelandet ist. Der hatte jedoch einen Schutzengel. Hätte nicht dieser Tourist mit Fernglas dort am Hotelfenster gestanden, wäre Jens jetzt auch tot.«
Eira brachte Berger eine Tasse Kaffee. »Na, dann lass das Koffein mal wirken. Wir brauchen starke Nerven. Bei diesem Fall haben wir ein paar ziemlich harte Nüsse zu knacken.
Schauen wir uns noch mal Karl Fjeld an. Er hatte 1969 bestimmt finanzielle Gründe, sich davonzumachen. Hinzu kam wahrscheinlich, dass er mit allen und allem brechen wollte. Irgendetwas muss ihm mächtig auf den Geist gegangen sein.
Und ich glaube, dass es jemanden gibt, der ganz genau weiß, was sich damals in dem Gebäude abgespielt hat. Das heißt, ich weiß , dass es jemand weiß. Wenn dem nicht so wäre, hätte man Jens und Per nicht töten wollen, oder?
Also, was ist in der Brandnacht von 1969 in Fjelds Bürohaus vor sich gegangen? Das Feuer hat die meisten Spuren effektiv beseitigt. Nur – neben konkreten Spuren gibt es ja auch noch das menschliche Gedächtnis. Dort leben die Beweise weiter.«
Eira rieb sich die Augen. »Gunhild beunruhigt mich immer mehr. Es fällt mir schwer, ihr zu glauben. Das Gleiche gilt für Rita. Sie ist voller Hass und Bitterkeit, hat wohl das Gefühl, sie müsste irgendetwas rächen oder verteidigen. Aber wäre Gunhild oder Rita tatsächlich imstande, zu töten?«
Er hatte ganz vergessen, dass er sich mit Mona verabredet hatte. Sie drehte eine
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