Im Auge des Feuers
leere Kaffeetasse zwischen den Fingern und las eine der überregionalen Zeitungen.
»Normalerweise bin ich nicht so geduldig«, sagte sie ruhig und faltete die Zeitung zusammen. »Eigentlich bin ich nur aus Neugier hier geblieben.«
»Hast du dein Auto zurückbekommen?«
Sie nickte. »Mit vier nagelneuen Reifen.«
Er beugte sich vor und sah ihr in die Augen. »Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, Mona. Da ist nur so ein vages Gefühl. Diese Sache mit deinem Auto geht mir nicht aus dem Kopf. Hier stimmt etwas absolut nicht. Das war nicht einfach ein böser Jungenstreich.«
»Du glaubst zu wissen, wer die Reifen zerschnitten hat?«
»Ich kann mich irren. Aber mein Verdacht hat sich erhärtet, als ich entdeckt habe, dass das neueste Messer, das ich gemacht habe, verschwunden ist.«
Sie sah ihn erschrocken an. »Hatte Niillas Freunde zu Besuch, die in Versuchung geraten sein könnten?«
Er schüttelte bestimmt den Kopf. »Niillas hat seit vielen Jahren dieselben Freunde. Die ganze Zeit haben Messer herumgelegen. Die Jungs haben sich meine Werkzeuge angesehen und nur beiläufig gefragt, wie man so was macht. Aber keiner von ihnen interessiert sich besonders dafür. Keiner von Niillas’ Freunden ist damit abgehauen.«
»Aber du glaubst, jemand hat dieses Messer gestohlen?«
»Ich weiß es. Es hat ja gestern Nachmittag noch da gelegen.« Eira raufte sich die Haare.
Sie nahm seine Hände und hielt sie fest. »Erzähl mir alles, Aslak. Fang ganz vorne an und denk nicht darüber nach, wie es sich anhören könnte. Rede einfach drauflos.«
Während er sprach, saß sie regungslos da.
»Verstehst du jetzt, was ich denke?«
Sie nickte langsam. »Ich glaube, du hast recht. Es sieht ganz so aus, als ob sie es getan hätte.«
Eira bemerkte Monas Zögern. Sie fügte erklärend hinzu: »Ich mag es nicht besonders, Diagnosen zu Personen zu erstellen, die ich nicht gut kenne. Aber dieses Verhalten erinnert tatsächlichstark an Borderline . Kennst du den Ausdruck? Jemand mit diesem Syndrom hat meistens eine – wie soll ich sagen – schwierige Persönlichkeit. Solche Menschen zeigen wenig Mitgefühl für das Leiden anderer und sind nur sehr eingeschränkt in der Lage, Schuldgefühle zu empfinden. Sie tun alles, um ihre gesamte Umwelt zu beherrschen. Andere Menschen sind in ihren Augen entweder perfekt oder der letzte Dreck, ein krasses Schwarz-Weiß-Denken also. Gerade betroffene Frauen erweisen sich mitunter als sexuell überaktiv und haben häufig wechselnde Beziehungen. Meiner Meinung nach kann es verhängnisvoll sein, sich in einer festen Partnerschaft an sie zu binden. Das Ganze ist besonders fatal, weil solche Menschen oft richtig charmant auftreten. Sie setzen ihr schönstes Lächeln auf, und wie nebenbei müssen alle nach ihrer Pfeife tanzen. Das kann sehr zerstörerisch wirken. Verstehst du, Aslak? Man fällt so leicht darauf herein.«
»Danke, Mona, das war sehr erhellend. Ich fürchte, Niillas hat von alldem wirklich keine Ahnung. Er ist einfach verliebt. Und wendet sich mit aller Kraft gegen mich. Ich bin in seinen Augen derjenige, der ihn angeblich ständig bevormundet.«
Mona machte ein ernstes Gesicht. »Ich muss das jetzt noch mal betonen, Eira: Wir sprechen hier nicht von einer leichten psychischen Auffälligkeit, die behandelt werden könnte. Es ist vielmehr eine tief verwurzelte Persönlichkeitsstörung.«
Sie blickte auf die Uhr und stand auf.
»So was kann nicht behandelt werden, sagst du?« Eira betrachtete eingehend seine Hände. »Das ist also keine Krankheit?«
Mona schüttelte wieder den Kopf. »Man kann jetzt bloß abwarten. Und beobachten, wie Niillas damit umgeht. Früher oder später wird sie ihn fallen lassen – für jemand anderen als dich, hoffe ich.«
Eira fielen die Wohnungsprospekte ein, die bei Niillas herumlagen, und er wagte nicht daran zu denken, wie weit sich Niillasmöglicherweise schon Victoria verschrieben hatte. »Glaubst du, sie könnte ihm irgendwie gefährlich werden?«
»Ich bin der Meinung, dass solche Personen immer gefährlich für ihre Umgebung sind. Zumindest psychisch.«
Berger hatte wieder den Jogginganzug an, den Eira ihre »Galauniform« nannte. Sie war gerade auf dem Weg nach draußen. Dort war es schon stockdunkel. Ein leichter, eisiger Wind hob die Wimpel an der Fahnenstange des Nachbarhauses ein wenig an. Berger ruderte kräftig mit den Armen, um warm zu werden. Sie hatte heute Mühe, sich zu motivieren. Es war nasskalt, aber wenn sie am Abend nicht
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