Im Auge des Feuers
Hand auf seinen Arm. »Entschuldige. Als ich letztes Mal hier war, habe ich einenRing vergessen. Hatte ihn beim Händewaschen auf die Ablage im Badezimmer gelegt. Warte bitte einen Moment.«
Sie schlüpfte an Sverre vorbei und blieb vor dem knurrenden Hund stehen. »Na, da macht sich aber jemand wichtig.«
Gunhild streckte die Hand aus und strich dem Hund langsam über den Nacken. Er setzte sich. Sie schwatzte weiter und streichelte ihn mit beiden Händen. Der Dobermann legte sich hin, rollte auf den Rücken, leckte ihr die Hände und sah sie mit treu ergebenen Augen an.
Sverre stand noch immer an derselben Stelle, als seine Mutter wieder zurückkam. Der Ring, den sie ihm entgegenhielt, glitzerte im Licht der Deckenlampe.
»Jetzt bist du uns endlich los. Mich und Eira.« Lächelnd zuckte sie mit den Schultern. »Ich habe gesehen, dass er gerade weggefahren ist.«
Gunhild strich Sverre flüchtig über die Wange. »Mach’s gut, mein Junge. Du auch, Hündchen.«
Sverre war wie erstarrt. Als die Haustür zufiel, stand er immer noch am selben Fleck und schaute mit leerem Blick in seine Wohnung.
Jens Eide schlug den Jackenkragen hoch. Er war eben erst hier angekommen. Aber die anderen Obdachlosen nahmen nicht sonderlich viel Notiz von ihm. Das gleiche belanglose Gerede wie eh und je. Es war, als sei Jens überhaupt nicht weg gewesen. Und wenn sie Fragen stellten, dann drehten die sich immer nur um Schnaps oder Zigaretten.
Jens befand sich in einem sonderbaren Zustand. Satt, aufgewärmt und stocknüchtern. Und er konnte ohne Mühe gerade stehen. Das hieß zwar noch nicht, dass er sich wirklich wohlgefühlt hätte. Aber er dachte auf eine neue Art. Sah ein wenig klarer. Und die fürchterlichen Entzugserscheinungen, die ihn anfangs gequälthatten, waren etwas schwächer geworden. Jens war entschlossen, dem Alkohol in Zukunft zu widerstehen.
Das panische Herumrudern im eiskalten Wasser hatte sich tief in sein Gedächtnis eingegraben, wie benebelt er auch gewesen sein mochte. Jens war klar geworden, dass dieser Same, der oft an seinem Krankenhausbett gesessen hatte, Polizist sein musste. An jenem Abend auf der Straße hatte Jens das freilich noch nicht erkannt.
In letzter Zeit funktionierten erstaunlich viele Verknüpfungen in seinem Oberstübchen. Auf einmal fiel so manches Puzzleteilchen wie von selbst auf den richtigen Platz.
Er erinnerte sich lebhaft an die Stimme, die in seinen Ohren gegellt hatte, unmittelbar vor dem Sturz ins Wasser. Und man hatte ihm erzählt, dass Frank endlich aufgefunden worden war.
Jens drückte dem nächstbesten Kumpel eine Zigarettenpackung sowie seine letzten Münzen in die Hand und ging weiter. In der kurzen Zeit, die er dort gestanden hatte, war es dunkel geworden. Der Bürgersteig war rutschig und Jens konzentrierte sich darauf, nicht hinzufallen.
Unerledigte Aufgaben lagen vor ihm. Er hatte etwas vor. Jahrzehntelang wäre ihm dieser Satz nicht einmal im Traum eingefallen. Sein Körper war zwar morsch – die dünnen Beine und die völlig verrottete Leber konnte man nur noch als Wrackteile bezeichnen –, aber der Wille war da. Und immer noch war etwas von der alten Geisteskraft übrig, die ihn in seiner Jugend so erfolgreich gemacht hatte.
Jens war mächtig stolz auf sich. Die kommenden Wochen waren gesichert: Er würde ein festes Dach über dem Kopf haben. Das kleine Appartement erschien ihm wie der Himmel auf Erden. Ein alter Kumpel hatte Vernunft angenommen und sich in die Obhut des Blauen Kreuzes begeben. Damit die Katze seines Bekannten in der Zwischenzeit nicht verwahrlosen würde, hatte Jens sich bereiterklärt, für das Tier zu sorgen. Als Gegenleistung durfte er in der Wohnung seines Kumpels übernachten, völlig kostenfrei. War das herrlich.
Jetzt waren es nur noch ein paar hundert Meter. Heute war sein erster Tag dort. Das Appartement lag im Mellomveien. Direkt nebenan war ein Beerdigungsinstitut. Immer wenn Jens dort vorbeikam, musste er über Leben und Tod nachdenken.
Vor der Tür blieb er stehen und atmete tief durch. Sein Kumpel musste die Augen einer Eule haben, jedenfalls hatte er kein Geld für Glühbirnen ausgegeben. Das Schlüsselloch musste man mühsam mit dem Finger ertasten. Endlich öffnete sich das Schloss.
Die Diele war finster wie eine Grabkammer. Auch hier hatte sich nach dem Betätigen des Lichtschalters nichts getan. Jens setzte behutsam einen Fuß vor den anderen, um auf keinen Fall etwas umzustoßen oder womöglich noch der Katze auf den
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