Im Auge des Feuers
neu. Karl wurde klar, dass diese Frau nicht mehr dieselbe war, die er vor vielen Jahren gekannt hatte.
Er reichte Oscar Wikans Witwe Gunhild die Hand. Sie nahm sie kurz. Die Phrase vom Sich-fabelhaft-gehalten-Haben lag Karl auf der Zunge, aber sie wäre jetzt deplatziert gewesen. »Ich weiß es zu schätzen, dass du mich treffen wolltest«, sagte er bloß.
»Begreiflich, dass du dir einen einsamen Ort ausgesucht hast. Es muss schwierig sein, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen.« Das leichte Zittern in ihrer Stimme kam nicht vom Alter.
»Lass uns einen Kaffee trinken.« Er ging an ihr vorbei in den Wohnraum. »Ich habe eine Thermosflasche von zu Hause mitgebracht.« Karl goss Kaffee in zwei Tassen und sie setzte sich auf die Kante eines Stuhls, ohne die Jacke zu öffnen. Das Essen stellte er mitten auf den Tisch.
»Nein danke. Komm lieber zur Sache.«
Er zuckte mit den Schultern, griff nach der Tasse und schlürfte langsam den Kaffee. »Gunhild, warum bist du meiner Bitte gefolgt, hierherzukommen?«
Sie antwortete nicht.
Karl nahm einen weiteren Schluck Kaffee. »Mein Vater ist vor kurzem gestorben. Mit dreiundneunzig Jahren. Du denkst sicherlich, er sei aus purer Bosheit so lange am Leben geblieben.«
Das Schweigen war wie ein Tauziehen zwischen ihnen. Karl brach es als Erster. »Johan hat jetzt Zugang zu Vaters Online-Kontoerhalten. Ich habe mir die PIN und alle übrigen Daten zur Einsichtnahme besorgt. Seit heute Morgen um sechs saß ich am PC und habe mir die Kontoauszüge angesehen. Wie ich feststellen musste, wird jeden Monat ein fester Betrag auf dein Konto in Spanien überwiesen.«
Sie antwortete noch immer nicht.
»Geht’s dir gut in Spanien? Eine kleine Wohnung in Marbella, die Vater finanziert hat, soweit ich verstanden habe. Sie wurde nach meinem Verschwinden für dich gekauft.« Er aß von Nancys bestens zusammengestellter Wegzehrung, scheinbar entspannt. Nur die Gesichtsfarbe verriet seine Erregung. »Hat mein Vater sein ganzes Leben geglaubt, dass du die Liebe meines Lebens gewesen seist? Dass wir geheiratet hätten, sobald du von deinem Mann geschieden gewesen wärst, und dann alle Pläne nur deshalb nicht umgesetzt wurden, weil ich ja offiziell bei dem Brand ums Leben gekommen bin?«
Sie beugte sich vor. »Komm zur Sache, Karl Fjeld! Warum hast du nach so vielen Jahren Kontakt zu mir aufgenommen? In deinem Brief hast du geschrieben, dass wir miteinander reden müssten. Warum? Warum jetzt ?« Ihr Blick sagte ihm, dass starke Gefühle mit dem Alter nicht verblassten. Einen Moment fragte er sich, ob sie ihn wirklich hasste.
»Gunhild, ich habe keine Ahnung, wie du meinen Vater so unter deinen Pantoffel bekommen hast. Er hat seinen Betrieb mehr geliebt als seine Familie oder Frauen im Allgemeinen, und ich weiß noch nicht einmal, ob du seine Geliebte warst.«
Gunhild wurde bleich, sagte aber nichts.
Karl sog hörbar Luft ein. »Er hat dir also nach dem Tod deines Mannes eine Wohnung in Spanien gekauft, ohne es mit einem Dritten abzusprechen, und dir eine kleine jährliche Pension zukommen lassen. Warum in aller Welt hat er das getan? Aus Fürsorge? Schuldgefühl? Großmut? Das glaube ich nicht. Solche Eigenschaftenhatte er nicht. Seine eigene Tochter arbeitete zum niedrigsten Tariflohn in der Firma.« Er drehte die Kaffeetasse zwischen den Händen und blickte seine frühere Geliebte kühl an. »Mit anderen Worten: Unsere Familie hat großzügig zu deinem Wohlergehen beigetragen, Gunhild Wikan. Jetzt ist es höchste Zeit, dass dem ein Ende gesetzt wird. Du hast nie mehr damit gerechnet, dass ich wieder auftauchen würde, aber ich bin zurück. Ich werde als der heimgekehrte Sohn auftreten.«
Ruhig begann er zusammenzupacken. »Alle Bindungen und Verpflichtungen «, er zeichnete mit den Zeigefingern Anführungszeichen in die Luft, »die unsere Familie dir gegenüber eingegangen ist, haben jetzt ein Ende. Die Wohnung kannst du behalten, das sollte genug sein. Ich werde in Zukunft nicht noch mal von mir hören lassen.«
Gunhild war bereits aufgestanden, immer noch kreidebleich im Gesicht. Ihre Bewegungen waren schnell, und bevor er reagieren konnte, hatte sie ihre unberührte Kaffeetasse ergriffen und ihm den Inhalt ins Gesicht geschleudert. »Dann haben wir ja doch noch was gemeinsam, Karl Fjeld!«
Gunhild stieß die Tür weit auf, die schrill in den Angeln quietschte und sogleich vom Wind erfasst wurde. Karl konnte gerade noch Gunhilds graublondes Haar im Wind flattern sehen, bevor sie
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