Im Auge des Feuers
kleinen Pension in der Stadt eingemietet. Aber Eira wollte sich sachte an Sverres Verhältnis zu seiner Mutter herantasten.
»Nein.« Wikan rang einen Moment mit sich, dann stellte er die Kaffetasse ab und sah Eira fest an. »Hören Sie, ich habe keinen Grund, Ihnen etwas vorzumachen. Meine Mutter ist vor über dreißig Jahren aus der Stadt weggezogen. Wir sind uns inzwischen absolut fremd geworden. Da ist es nicht sonderlich naheliegend, dass sie bei mir einzieht.«
»Haben Sie sich wirklich nur wegen der langen Zeit und der großen Entfernung auseinandergelebt?«
»Nein. Eira, Sie stellen rhetorische Fragen. Sie wissen ja, damals ist so viel passiert …« Er machte eine weit ausholende Geste mit der Hand. »Um es kurz zu machen: Ich hatte eine enge Beziehung zu meinem Vater. Als er starb, trauerte sie nicht so um ihn, wie sie es meiner Meinung nach hätte tun sollen – wenn es denn von Herzen gekommen wäre. Sie brachte bald andere Männer ins Spiel.« Er erhob sich abrupt, kehrte Eira den Rücken und starrte verbittert aus dem Fenster. »Das habe ich ihr sehr verübelt.«
Die Gefühle anderer waren ein unberechenbares Minenfeld. Eira wagte sich dennoch hinein. »Trotz allem hatte sie Ihren Vater geheiratet.«
Wikan ließ ein kurzes, ironisches Lachen hören. »Lassen Sie es mich so sagen: Manche heiraten nicht unbedingt freiwillig. Oder aus Liebe.«
Eira hätte sich ohrfeigen können, dass er das Thema überhaupt angesprochen hatte. »Tut mir leid.«
»Das muss Ihnen nicht leid tun, Eira. Dazu habe ich ein ganz abgeklärtes Verhältnis. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich meiner Mutter nie besonders nahestand. Als sie mich vor ein paar Tagen besuchte, war ich dann auch ziemlich überrascht. Natürlich habe ich sie hereingebeten. Ich bin ja kein Unmensch.«
»Was macht sie eigentlich hier? Soweit ich weiß, ist sie doch, seit sie damals wegzog, nicht mehr hier gewesen.«
Sverre Wikan zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Sie wird langsam alt. Ich glaube, es ist reine Nostalgie. Der Drang, aufs Leben zurückzublicken, wenn man sich dem Ende des Weges nähert.«
»Ich bin auch eigentlich gar nicht gekommen, um über Ihre Mutter zu sprechen, sondern über Per Andersen.«
Wikan drehte sich zu ihm um. »Ach ja? Per Andersen?« Er setzte sich und war plötzlich ganz Ohr.
»Sind Sie jemals bei ihm zu Hause gewesen?«
Wikan strich sich bedächtig durchs Haar. »Ich verstehe nicht ganz, worauf Sie mit dieser Frage hinauswollen, Eira. Per war während meiner Kindheit und auch einen guten Teil meiner Jugend nur ein Bekannter. Wir waren nie besonders eng befreundet. Aber ich möchte mich natürlich nicht schlecht über ihn äußern oder ihn in schlechtem Licht darstellen, jetzt, da er tot ist. Er konnte einem einfach leid tun.«
»Sie waren also bei ihm zu Hause?«
»Ein- oder zweimal. Per wollte immer am liebsten zu mir nach Hause kommen.« Er zögerte. »Es lag an der Stimmung bei ihm daheim. Man hatte nie Ruhe vor dieser Nervensäge von Mutter.«
»Hatte er irgendwelche besonderen Interessen?«
»Tja …« Wikan lachte entwaffnend. »Allmählich wurde ja klar, dass er ziemlich … infantil war. Wurde irgendwie nie erwachsen. Zum Beispiel ist er wohl nie ganz mit dem Stadtbrand fertig geworden, den ich am liebsten vergessen wollte. Um es auf den Punkt zu bringen: Er interessierte sich für alles, was mit Feuer zu tun hatte.«
»Eben.«
»Wie deuten Sie das?« Wikan wirkte immer noch skeptisch und sah aus dem Fenster.
»Genauso wie Sie. Dass sein Interesse, einfach ausgedrückt, etwas zu groß war.«
Wikan seufzte. »Okay, Eira. Es lässt sich ja ohnehin nicht verheimlichen. Einer der Gründe dafür, dass ich mich in meiner Jugend schließlich von Per zurückzog, war seine Faszination für offenes Feuer. Er wollte bei jeder erdenklichen Gelegenheit zündeln und versuchte, alles Mögliche abzufackeln. Er hat oft ausschließlich davon gesprochen.« An Sverres vernarbtem Auge zuckte es leicht, als bereite es ihm Schmerzen zurückzudenken. »Als ich aus dem Krankenhaus heimkam, stand er da und wartete auf mich. Ich konnte seinen Anblick nicht ertragen, Eira. Er hatte die Angewohnheit, alles, worüber er redete, endlos zu wiederholen. Ich wusste, dass der Brand ein unerschöpfliches Thema sein würde. Nach dem, was ich erlebt hatte, machte mich schon der bloße Gedanke an diesen Menschen körperlich krank. Ich habe Per schlicht und einfach fallen lassen.«
»Glauben Sie, dass er den Brand in dem
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