Im Auge des Feuers
ihm wie ein Blutegel. Es kam vor, dass sie sogar mitten inder Nacht aufkreuzte. Ich verstehe nur zu gut, dass er vor dem ganzen Chaos fliehen wollte.«
»Warum ziehen Frauen so übereinander her?«
»Du hast weder Intuition noch Intelligenz, Johan. Auch keinerlei soziale Intelligenz. Das ist dein Problem.«
»Warum hast du Vater nie etwas über Gunhilds wahres Gesicht erzählt?«
»Er hat es doch auf den Kopf zugesagt bekommen, als Karl verschwand. Gunhild zögerte nicht, hier zu erscheinen. Sie hatte wohl die Scheidung von ihrem Mann beantragt und behauptete, sie sei von Karl schwanger gewesen, habe das Kind aber am Anfang der Schwangerschaft verloren. Zu allem Überfluss hatten sie angeblich auf längere Sicht geplant zu heiraten.«
»Warst du bei dem Gespräch zwischen Vater und Gunhild dabei?«
»Keineswegs. Nancy hat an der Tür gelauscht.«
»Vater war begeistert von Gunhild. Sie war schließlich die schönste Frau von Tromsø.«
Rita lachte resigniert. »Er hatte panische Angst. Meinst du vielleicht, er hat Gunhild die Wohnung in Spanien finanziert, bloß weil er ein dämlicher verliebter alter Mann war? Die Wohnung war eine Art Abfindung. Vater kaufte sich – und uns – von Gunhild Wikan frei. Ansonsten hätte die Gute wohl recht unangenehm werden können. Sie wäre weiterhin hier in der Stadt herumgelaufen und hätte unseren guten Namen in den Schmutz gezogen.« Rita holte tief Luft und trank den letzten Rest Cognac aus. » Sie besaß nämlich Papiere, mit denen sie angeblich die meisten ihrer fürchterlichen Behauptungen beweisen konnte. Unterschlagung. Heirat. Schwangerschaft.«
Johan kniff die Augen zusammen. »Du bist wirklich boshaft.«
Rita ging zu ihm hinüber und beugte sich über seinen Stuhl. »Wenn jemand es verdient hat, dass man ihm den fetten Nackendurchhackt, dann du. Ich würde dich mit Freuden umbringen. Bisher gab es Gründe, die dagegen sprachen. Aber momentan motivierst du mich ungemein.«
Johan presste sich an die Stuhllehne. »Du übertreibst, Rita.«
»Nicht im Geringsten.« Sie sah ihn mit einem Ausdruck an, den man als blanke Verachtung bezeichnen konnte. »Vater ist vor vier Wochen gestorben. Wie viel Zeit soll noch vergehen, bis du dich in den Keller hinunterbegibst und seine Sachen aufräumst? Bis du endlich die alten Papiere aus dem Safe entfernst?«
»In den Keller …« Johan erbleichte.
»Dorthin hast du deinen Fuß wohl seit Ewigkeiten nicht mehr gesetzt. Aber wenn du dich überwinden könntest, den Packen hochzuholen, könntest du alles unserem Anwalt übergeben.« Sie flüsterte eindringlich: »Wer weiß, vielleicht schlummern dort noch ein paar Überraschungen. Natürlich nur, wenn Nancy damals recht hatte. Sie kann sich ja auch verhört haben. Das Haus hat schließlich dicke Türen.«
Kapitel 39
Rita Fjeld hatte lange vor der kleinen Pension Tromsø im Auto gewartet, als sie endlich kam. Die Frau, die den Gehweg entlangstakste, kämpfte mit dem Gegenwind und bemerkte Rita nicht. Die Dunkelheit war hereingebrochen und Gunhild hatte mehr als genug damit zu tun, die Einkaufstüten in der einen Hand zu balancieren und mit der anderen den Hut festzuhalten.
Rita beobachtete Gunhild. Sie erkannte nicht nur ihre Gesichtszüge wieder, sondern auch Gunhilds allzu majestätischen Gang auf hohen Absätzen, den affektierten Hüftschwung und das selbstherrlich erhobene Kinn. Zweifellos hatte sie sich das alles von den amerikanischen Filmstars abgeschaut. Gunhild war früher Dauergast im Kino Verdensteateret, während ihr Mann in Andreas Fjelds Betrieb Überstunden schob.
Rita erinnerte sich daran, dass Gunhild zu jener Zeit faszinierend zart, fein und grazil gewirkt hatte. Sie schien über andere erhaben. Die Frauen hassten Gunhild für diese unschlagbar attraktive Ausstrahlung. Die Männer waren total verrückt nach ihr und Gunhild wusste das auszunutzen. Selbst Ritas Vater, Andreas Fjeld, war wie ein Hund um Gunhild herumgeschwänzelt. Bis Karl verschwunden war und Andreas Fjeld Gunhilds anderes Gesicht kennengelernt hatte. Fortan war Andreas froh gewesen, sie durch seine Zahlungen auf Abstand halten zu können.
Selbstverständlich hatte Rita gegen diese verdammte Wohnung in Spanien protesiert, hatte versucht, ihren Vater zur Rede zu stellen. Welche Druckmittel hatte Gunhild in der Hand? Aber Andreas hatte mit rasender Wut reagiert. Ritas Fragen waren unbeantwortet geblieben, bis heute. Wie viel hatte er beigesteuert? Hatte Gunhild womöglich nach wie vor eine
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