Im Auge des Orkans
lange die dickköpfigen und fremdenfeindlichen Bewohner das noch aufhalten
konnten, was man heutzutage den Fortschritt nennt.
Ich beschloß, zuerst Angelas Großvater
einen Besuch abzustatten. Er wohnte in einem Haus in der Hauptstraße, die als
»Straße der Geschichten« bekannt war, weil sich dort so viele seltsame und
unglaubliche Dinge zugetragen hatten. Angela hatte gesagt, das Haus läge neben
einem Restaurant namens »Al’s Place«, nach einem Italiener, der es in den Tagen
des Alkoholschmuggels eröffnet hatte.
Ich ging die »Straße der Geschichten«
entlang, im Schatten der vorstehenden Balkons im ersten Stock. Hier bestand der
Gehweg ausnahmsweise aus Zement, aber die Häuser waren auch alle alt und
windschief. Hier und dort war ein Auto geparkt, und eine Gruppe alter Männer
beobachtete mich mit offener Feindseligkeit. Ich tat, als merkte ich nichts,
fand »Al’s Place« und dann das Haus, in dem Tin Choy Won wohnte.
Mr. Won war ein winziger Mann,
gebrechlich vom Alter. Er trug ein kariertes Wollhemd und Jeans mit
Hosenträgern — die einfache Kleidung eines Landarbeiters, der er auch einmal
gewesen war, wie Angela mir erzählt hatte. Sein Gesicht war vom
jahrzehntelangen Aufenthalt im Freien und durch die Deltasonne gegerbt. Das
Netz von Falten, das von seinem Mund und seinen Augen ausstrahlte, war seltsam
schön. Er lächelte, als ich mich vorstellte und Grüße von Angela überbrachte,
und bat mich ins Haus.
Der Raum hinter der Eingangstür war
einfach und nahm die ganze Breite des Hauses ein. Der hölzerne Boden war sauber
und ohne Teppich, die Einrichtung erinnerte an die fünfziger Jahre, als Plastik
und Holzimitationen beliebt gewesen waren. Mr. Won wies auf einen Lehnsessel
und bot mir Traubenlimonade an, die ich nicht ablehnen konnte.
Nachdem er sich ebenfalls gesetzt
hatte, fragte er: »Wie geht es meiner Enkelin?«
»Es geht ihr gut. Sie schickt Ihnen
liebe Grüße.«
Er lächelte — etwas gezwungen, wie mir
schien. »Ich lasse sie auch herzlich grüßen.«
Das klang nicht sehr überzeugend. Ich
beschloß, nachzubohren. »Sie müssen sich sehr nahestehen«, sagte ich. »Angela
erzählte mir, daß sie aus dem fernen Michigan zurückgekommen sei, um mehr bei
Ihnen sein zu können.«
»Ja. Sie ist eine gute Enkelin. Sie
besucht mich häufig und bringt mir Sachen — Konfekt und Kuchen und süßen Wein.«
Er schwieg. »Ich glaube, sie versucht, mich umzubringen.«
»Wie bitte?«
Er nickte ernsthaft, aber das Blinzeln
seiner Augen verriet ihn. »All das süße Zeug ist nicht gut für mich. Ich trinke
den Wein, doch alles andere gebe ich einer Nachbarin, die sowieso schon dick
ist.«
Ich beschloß, sein Spiel mitzuspielen,
da er es offensichtlich genoß. »Warum will Angela Sie töten?«
»Wegen meines Geldes natürlich. In der
Familie hält sich das Gerücht, daß ich eine Menge gespart habe. Angeblich habe
ich es unter der Eingangstür vergraben. Wenn ich an zuviel Süßigkeiten
gestorben bin, glaubt meine Enkelin, sie kann das Geld ausgraben und wird dann
reich sein.«
»Liegt es wirklich unter der
Türschwelle?«
»Nein, Es ist in Papieren angelegt.
Aber vergessen Sie meine Worte nicht. Wenn ich sterbe, müssen Sie sie wegen
Mordes verhaften.«
»Ich werde es nicht vergessen.«
Offenbar war Tin Choy Won etwas wunderlich, aber auch sehr nett. Ich mochte ihn
sehr, viel mehr als seine Enkelin.
Doch jetzt wurde er sachlich und klang
wie Angela. »Sie sind Privatdetektiv? Angela erzählte mir, daß Sie vielleicht
auf die Insel kommen würden. Warum?«
»Weil es einige Probleme gegeben hat:
Die Arbeiter, die nicht mehr zur Arbeit kommen, dann die anderen seltsamen
Dinge... man muß sie aufklären, vor allem weil heute Neal Olivers Bruder aus
Michigan eintrifft.«
»Der Bruder, der Freund meiner Enkelin?
Weswegen?«
»Er sieht die Bücher durch, um
festzustellen, ob alles in Ordnung ist. Er verwaltet Neals Vermögen, verstehen
Sie.«
Mr. Won wurde sehr still, vermutlich
machte er sich Sorgen wegen Angelas Job. Nach einer Weile fragte er: »Haben Sie
schon etwas entdeckt?«
»Noch nicht. Ich bin in die Stadt
gekommen, um mit den Leuten aus Locke zu sprechen, die auf Appleby Island
gearbeitet haben. Hat Ihnen Angela davon erzählt?«
»Ja. Aber sie sind nicht mehr hier. Man
hat ihnen Arbeit in Sacramento angeboten. Letzten Sonntag sind sie
weggefahren.«
»Weiß Angela das?«
»Ich glaube, ich hab’s ihr erzählt.« Er
bemerkte meine Verblüffung. »Wie ich sehe, hat meine
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