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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Typ
ist, aber er kann mir nicht erzählen, daß der noch nie eine Unterhose gesehen
hat.«
    Im Herrenhaus entdeckte ich dann, daß
die bevorstehende Ankunft des »reichen Typs« noch mehr schlechte Laune bewirkt
hatte. Patsy lief mit einem Staubwedel umher und sah aus wie das französische
Dienstmädchen in einer französischen Komödie. Evans und Denny stellten mit
vielen gereizten Worten die Möbel im Wohnzimmer um. Angela nörgelte an dem
Blumenarrangement herum, das Stephanie in einer Vase drapierte.
    »Wie geht es Andrew?« fragte ich Patsy.
    »Ach, nur ein gebrochener Arm. Nicht
schlimm.«
    »Warum stellt ihr die Möbel um?«
    »Neals Idee. Er blieb den ganzen Morgen
in seinem Zimmer, um alles peinlich ordentlich aufzuräumen und zu überlegen,
was er anziehen sollte. Angela hat mir gesagt, daß er dir nicht mal wegen
Andrew Bescheid gegeben hat. Und dann, kurz ehe er zum Flughafen mußte, fand
er, daß die Möbel nicht richtig stehen, und befahl uns, sie umzustellen. Wir
haben soviel putzen müssen, daß wir erst vor fünf Minuten dazu gekommen sind. Wahrscheinlich
werden Evans und Denny Sam mit einer Couch in jeder Hand begrüßen müssen.«
    Wenn sie sich nicht so aufgeregt hätte,
wäre es komisch gewesen. »Ich muß mit Andrew sprechen«, sagte ich gelassen. »Wo
steckt er?«
    »Im Bett und spielt die Primadonna.«
    »Und Kelley und Jessamyn?«
    »Auch unten. Und wenn sie auf dem Bett
herumspringen und den Gips kaputtmachen, bringe ich sie um, zusammen mit Neal.«
Patsy beschrieb mir den Weg zu den ehemaligen Dienstbotenräumen an der
Rückseite des Untergeschosses, und ich verschwand, froh, dem ganzen
Durcheinander entkommen zu können.
    Die Räume lagen in einem rechtwinkligen
Anbau. Es waren mindestens zehn Zimmer, die von Patsy, Evans und den Kindern
lagen am hinteren Ende und gingen auf einen Garten mit Wäschestangen und
verunkrauteten Gemüsebeeten hinaus. Die Zimmer waren klein und dunkel, doch
Patsy hatte sie mit bunten Kissen und Flickenteppichen heiterer gemacht. Der
Vorteil, von den anderen weit weg zu sein — so daß sich niemand über den
Kinderlärm beschweren konnte — , überwog alles andere. Außer Angela, die neben
ihrem Büro hauste, hatten die übrigen Hausbewohner Zimmer im ersten Stock.
    Kelley und Jessamyn hockten auf der
Couch im Wohnzimmer und sahen sich einen alten Fernsehfilm an. Sie waren
seltsam friedlich. Jessamyn sah bei meinem Eintritt kaum auf und winkte mir nur
kurz zu. Kelley wandte mir ihr dünnes Gesicht zu, und ich war etwas überrascht
über die Ähnlichkeit, die sie mit mir hatte, vor allem, was die Nase und die
Wangenknochen betraf. Ihre Augen waren auch die meinen: mit dichten Wimpern und
für das zarte Alter von neun Jahren viel zu ernsthaft.
    »Hast du schon gehört, was Andrew
passiert ist?«
    »Ja. Ich möchte ihn besuchen. Welches
ist sein Zimmer?« Sie deutete auf eine Tür zu ihrer Linken.
    Es war ein typisches Kinderzimmer — das
heißt, überall lagen schmutzige Kleider und Spielzeug herum. Mein Neffe saß im
Bett, den linken Arm bis zum Ellbogen in Gips, und las in einem Comic-Heftchen
mit grün-rotgesichtigen Menschen. Ich seufzte innerlich. Was war nur aus dem
guten alten Donald Duck geworden?
    »Wie geht’s dir?« fragte ich, während
ich mich auf den Bettrand setzte.
    »Okay.« Er warf mir nur einen Blick zu
und beschäftigte sich wieder mit seinen Comics. Wie ähnlich er doch meinem
Vater sah — das gleiche helle Haar, die gleichen Falten um den Mund, wenn er
lachte.
    »Angela hat mir erzählt, daß du gerade
den Detektiv spieltest und jemanden verfolgtest, als du gestolpert bist.« Er
reagierte nicht. »Hat es vielleicht was mit dem Einsiedler zu tun, der hier
herumspuken soll?«
    »Was für ein Einsiedler?« Er starrte
mich trotzig an.
    Den Blick kannte ich. Bei Andrew hatte
ich ihn bisher noch nicht erlebt, aber bei dem ältesten Sohn meiner Schwester
Charlene war ich häufig die Zielscheibe davon gewesen. Der alte
»Hau-ab-Tante-Sharon«-Blick, der bedeutete, daß ich nichts aus Andrew
herausbekommen würde, aus welchen Gründen auch immer. So lange nicht, bis er
bereit war, es mir freiwillig zu erzählen.
    »Ich bin müde«, sagte Andrew dann
weinerlich.
    Ich stand auf und ging zur Tür. »Ich
möchte noch eines bemerken, Andrew«, sagte ich, »gute Detektive kooperieren mit
ihren Kollegen. Sie wissen, daß sich so ein Fall besser und schneller lösen
läßt.«
    Andrew las und tat, als habe er mich
nicht gehört.
    Im Wohnzimmer lief jetzt

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