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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Enkelin Sie ausgetrickst.«
    »Macht sie das öfter?«
    »Es kommt schon mal vor.« Die
Mißbilligung von Angelas Verhalten war ihm anzumerken. Aber da war noch etwas
anderes. Sorge? Ja, ganz bestimmt. Verärgerung? Nicht so ganz, aber etwas in
dieser Richtung.
    »Ich werde Sie über die jungen Leute
aufklären«, sagte er. »Damit Ihr Besuch nicht ganz umsonst war. Sie gehörten
nicht hierher, sie stammten aus Stockton, wo sie mit dem Gesetz in Konflikt
gerieten. Nichts Ernstes, aber trotzdem war es besser, wenn sie für einige Zeit
aus der Stadt veschwanden. So tauchten sie bei hiesigen Verwandten unter, und
als sie durch Angela die Möglichkeit geboten bekamen, auf Appleby zu arbeiten,
waren alle erleichtert.«
    »Warum haben sie dann ihren Job
aufgegeben?«
    »Wieviel wissen Sie über die Insel?«
    »Von dem angeblichen Fluch habe ich
jedenfalls gehört.«
    Er nickte langsam. »Sie sagen ›angeblich‹.
Sie glauben also nicht an ihn?«
    »Nein.«
    Wieder schwieg er. Schließlich begann
er: »Sie sind jung. Sie glauben, Sie haben schon viel erlebt, und Ihre Augen
verraten, daß es bis zu einem gewissen Grad auch stimmt. Aber es ist nichts im
Vergleich zu dem, was ich in meinen einundachtzig Jahren erlebt habe. Und ich glaube an diesen Fluch.«
    Ein leichter Schauer überrieselte mich.
»Und die jungen Arbeiter glaubten auch an ihn?«
    »Anfangs wußten sie nichts davon. Aber
die Leute hier reden. Sie haben nicht viel anderes zu tun. Und man warnte die
drei.«
    »Und?«
    »Sie haben den Geist des Eremiten, des
Einsiedlers, gesehen. Im Birnengarten. Und es war kein guter Geist.«
     
     
     

7
     
    Ich glaubte es nicht. Ich glaubte keine
Sekunde lang, daß ein böser Geist Appleby Island unsicher machte. Warum
umklammerte ich dann aber das Steuer so fest? Und fühlte mich so unbehaglich?
Nichts an der Geschichte, die Mr. Won mir erzählt hatte, war in sich
erschreckend. Während Eddie Huey in einem Badezimmer im ersten Stock an der
linken Vorderecke des Hauses arbeitete — mein Zimmer lag genau an der
entgegengesetzten Seite — , sah er einmal einen Mann im Obstgarten stehen, der
das Haus beobachtete. Ein großer Mann, hatte er gesagt, mit langem Haar. Da er
die Geschichte von dem verrückten Alf Zeisler kannte, wurde ihm bei diesem
Anblick unbehaglich zumute, und er hatte sich umgehört, ob noch andere Leute
auf der Insel arbeiteten, was nicht der Fall war. Zwei Tage später sah er den
Mann erneut, in Lumpen, wie der Einsiedler sie getragen haben mußte. Er stand
am Rand der ersten Birnenbaumzeile. Als der Mann bemerkte, daß Eddie ihn
entdeckt hatte, hob er die Hände. Sie hielten einen Henkersstrick. Der »Einsiedler«
gestikulierte wütend damit und verschwand zwischen den Bäumen. Das reichte
Eddie Huey. Er verlangte seinen Lohn und ließ die Arbeit liegen. Seine Freunde
überredete er, das gleiche zu tun.
    Als ich Mr. Won nach Einzelheiten über
den Einsiedler aushorchen wollte, wich der alte Mann aus. Der Einsiedler sei
von den Applebys in ihrem eigenen Obstgarten gehängt worden, warum, das wisse
er nicht.
    Ich war überzeugt, daß er die ganze
Geschichte genau kannte, aber aus irgendwelchen Gründen nicht mit der Sprache herausrücken
wollte.
    Aber was die Applebys auch für Gründe
gehabt hatten, an dem, was der Arbeiter gesehen hatte, fand ich nichts
Unheimliches. Wie ich vermutet hatte, hatte ein Mensch aus Fleisch und Blut
versucht, die Leute zu verschrecken — und das mit Erfolg. Was mir unheimlich
war, war die Überzeugung, mit der Mr. Won seine Geschichte erzählte. Die Kraft
eines jahrhundertealten Aberglaubens hatte mitgeschwungen.
    Als ich bei der Fähre ankam, saß Max
Shorkey auf einem Klappstuhl vor seiner Hütte. Er wirkte mürrisch. Ein paar
T-Shirts und Unterhosen hingen zum Trocknen über einen Sägebock. Erst da wurde
mir klar, daß der Fährmann in dieser schäbigen Hütte auch wohnte. Während der
Überfahrt fragte ich ihn, ob meine Vermutung stimme. Er nickte und murmelte, es
sei nur vorübergehend, »bis meine Frau vernünftig wird und mich wieder ins Haus
läßt«. Dann fügte er dunkel hinzu: »Und es soll mir lieber keiner mehr
befehlen, meine Wäsche reinzutun, egal, wer kommt.« Wie sich herausstellte,
hatte Neal ihn gebeten, die Wäsche verschwinden zu lassen, weil die Hütte sonst
wie eine Armeleutebleibe aussehe. Das wollte er seinem Bruder nicht zumuten.
    »Neal sorgt sich wirklich um alles,
nicht wahr?« stellte ich fest. »Ja. Ich weiß, daß sein Bruder ein reicher

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