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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ein Werbespot
für falsche Fingernägel. »Wollen wir nicht einen Spaziergang zusammen machen?«
fragte ich die beiden kleinen Mädchen.
    Sie sprangen auf, als habe die
Pausenglocke geklingelt. Kelley stellte den Fernseher ab, und Jessamyn führte
uns den Gang entlang und durch eine Tür in den Garten mit den Wäschestangen. In
der Hecke, die ihn umgab, war ein Loch, das wirkte, als habe es sich durch das
häufige Hindurchschlüpfen kleiner Gestalten gebildet. Dahinter lag der
verwilderte französische Garten. Kelley ergriff meine rechte, Jessamyn meine
linke Hand, und wir wanderten zur höher gelegenen Vorderseite des Hauses.
    Ich habe nichts gegen Kinder — solange
sie jemand anders gehören. Und Gott weiß, ich bin an sie gewöhnt: Mein älterer
Bruder John hat zwei, meine jüngere Schwester Charlene gebar kürzlich ihr
sechstes, und wenn mein Bruder Joey mal zur Ruhe kommt, wird er sicherlich auch
einen Haufen Kinder in die Welt setzen. Deshalb finde ich, habe ich die
Verantwortung, daß die Welt nicht mit McCones übervölkert wird.
    Ich steuerte auf den Obstgarten zu,
weil Jessamyn mir den Baum zeigen sollte, an dem die Puppe gehangen hatte. Aber
sie wollte dort nicht hingehen, schrie protestierend und versuchte, sich auf
die Erde zu setzen. Ich zog sie hoch und sagte: »Okay. Dann gehen wir zum
Bootshafen.« Das gefiel den Kindern. Sie ließen meine Hand los und rannten
davon.
    Das Bootshaus war eine schäbige
Wellblechkonstruktion mit flachem Dach auf einem Betonfundament am Rand des
Wasserarms. An einem Ende stand eine Treibstoffpumpe. Ein Plankenweg führte an
dem Gebäude vorbei und endete in einem mehrfingrigen Steg. Rechts davon waren
ein paar neue Pfähle im Wasser verankert worden, vermutlich für die neue
Bootslände, sonst sah der Ort schäbig und vernachlässigt aus. Als ich oben auf
dem Deich innehielt, um die Szene in mich aufzunehmen, sah ich am Ende des
Piers eine einsame Gestalt sitzen. Stephanie.
    Beim Lärm unserer Stimmen wandte sie
sich um und winkte uns lustlos zu. Ich winkte zurück und kletterte den Deich
hinunter. Jessamyn rannte bereits den Bohlenweg entlang. Ich bat Kelley, auf
sie aufzupassen, und trat zu Stephanie.
    »Tut mir leid, daß wir Sie stören«,
sagte ich, setzte mich neben sie und ließ die Beine über das Stegende baumeln.
»Sie haben sicherlich das Durcheinander dort oben auch nicht mehr ausgehalten.«
Sie griff in ihre Hemdtasche nach einer Zigarette und zündete sie an. »Mein
Gott, sie laufen herum, als erwarteten sie die Wiederkunft Christi, und nichts
wird getan. Und Angela meckerte dann noch über meinen Blumenstrauß.«
    Das Wasser floß hier sehr träge und
roch leicht brackig. Kelley und Jessamyn waren zum flachen Ufer auf der anderen
Seite des Bootshauses hinuntergeklettert und warfen Steine ins Wasser. »Sie
kommen mit Angela nicht gut aus?«
    »Sagen wir mal, wir haben nicht viel gemeinsam.
Sie ist kalt wie ein Fisch.«
    »Denny scheint aber nett zu sein.«
    »Ja. Und Ihre Schwester auch.«
    »Evans mögen Sie nicht?«
    »Er ist schwer einzuschätzen. Ständig
hat er die Nase in einem Kochbuch oder in einem Prospekt für
Kücheneinrichtungen. Ich glaube, er ist schon in Ordnung.«
    »Und Neal?«
    »Der ist ein Sonderling.«
    »Meine Schwester sagt, Neal und Evans
wuchsen in Michigan zusammen auf und waren befreundet.«
    »Ja.«
    »Und Angela ging mit Neals Bruder in
die Schule, der sie für diesen Job hier vorgeschlagen hat.«
    »Ja. Und Denny war der Bauunternehmer,
der ein Haus in San Francisco, das Neal gehörte, renovierte. Neal machte ihn
mit seinen Änderungswünschen beinahe verrückt.«
    »Erstaunlich, daß Denny die Arbeit hier
übernommen hat.« Stephanie zuckte mit den Achseln. »Er wollte weg — eine
gescheiterte Ehe, glaube ich.«
    »Und wie passen Sie ins Bild?«
    Sie lachte auf dieselbe rauhe,
ironische Art wie am Morgen, als sie von ihrem Freund in Sacramento gesprochen
hatte.
    »Gar nicht. Es kam alles so, weil ich
gerade in der Bar des ›Ryde-Hotels‹ saß. Sie kennen es?«
    Ich nickte und sah im Geist das alte
Stuckgebäude mit dem auffallenden Wasserturm. Es lag nicht weit westlich von
Walnut Grove, war während der Prohibitionszeit die bekannteste Kneipe im Delta
gewesen und heute immer noch eine beliebte Herberge.
    »Es war an einem Nachmittag im letzten
Dezember«, fuhr Stephanie fort. »Ich saß bei einem Bier in der Bar und
überlegte, was ich mit meinem Leben anstellen sollte. Ich war aus Seattle
hergekommen — wie Denny

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