Im Auge des Orkans
säumten.
Ich betrachtete die Uferlinie genau
nach einer Unterbrechung im Schilf oder nach einem Anzeichen, daß dort ein Boot
angelegt hatte. Alles sah so aus, wie es zu den Zeiten vor Jahrhunderten
gewesen sein mußte, als nur Indianer hier lebten. Nach einer Weile entdeckte
ich ein paar verwitterte Holzhütten mit steilem Dach und leeren Türhöhlen.
Vermutlich hatte man dort Gartengeräte aufgehoben. Sie dienten mir als
Markierung, wie weit ich schon gefahren war. Das Herrenhaus lag weit hinter
mir.
Es begann mir Spaß zu machen, über das
ruhige, glatte Wasser zu gleiten. In meinem kleinen Boot fühlte ich mich
sicher. Der Außenbootmotor schnurrte friedlich. Es war hier draußen auch nicht
kalt. Pullover und Jeans waren der richtige Schutz gegen den leisen Wind, der sich
erhoben hatte. Ich wünschte, ich hätte Sams Willkommensdinner sausen lassen
können.
Vor allem, da Patsy erklärt hatte, wir
müßten uns zu Ehren des Gastes umziehen. Da ich kein passendes Kleid
mitgenommen hatte, wollte mir Patsy aushelfen. Sie hatte ein bodenlanges
eisgrünes Kleid mit einer freien Schulter für mich bereitgelegt. Dazu die
passenden Sandalen. »Das Zeug sieht wie Seide aus«, hatte sie gesagt, »aber du
kannst es in die Waschmaschine stecken und brauchst es nicht bügeln.« Mir
schauderte bei der Vorstellung meines Auftritts in diesem Kleid.
Jetzt steuerte ich das Boot etwas vom
Ufer weg. Das Schilf war hier noch dichter. Vielleicht hatte der »Geist«
geankert und war an Land geschwommen. Ich sah auf meine Uhr. Es war Viertel
nach vier, wahrscheinlich reichte die Zeit noch, um den Zusammenfluß des Hermit’s
Slough mit dem Nordzweig des Mokelume zu erreichen, ehe ich umdrehen mußte.
Eine zusammengebrochene Brücke war das Kennzeichen, hatte Max mir erzählt, die
aus dem Wasser ragte. Die Schienen eines kleinen Ladezugs hatten einmal über
sie geführt. Mit ihm waren die Birnen zur Bahn transportiert worden.
Max’ Beschreibung stimmte. Ungefähr
fünfzehn Minuten später sah ich die Holzstempen vor mir zu meiner Linken aus
dem Wasser ragen wie eine riesige Kralle.
Die Wolken hatten sich jetzt zu einer
großen Masse aufgetürmt — mit grünen und rötlichen und schwarzen Schatten. Ich
schnupperte in der Luft, es roch stark nach Ozon. Bald würde es zu regnen
beginnen — Zeit, umzukehren. Den Rest des Ufers würde ich morgen erkunden.
Auf halbem Rückweg kam der Regen. In
der einen Minute hatten die Wolkenberge noch ganz fern ausgesehen, in der
nächsten jagten sie über mir über den Himmel und wurden immer dunkler. Der
Sturm kündigte sich nicht mit leichten Böen an. Er war plötzlich da und
peitschte das Wasser. Es goß in Strömen. Vornüber gebeugt saß ich auf dem Sitz,
wischte mir die Tropfen vom Gesicht und versuchte zu steuern. Das Boot, das
vorhin so einfach zu handhaben gewesen war, brach durch den Wind und die
Gegenströmung immer wieder zur Seite aus. Ich packte das Steuer mit beiden
Händen, um nicht in das Schilf getrieben zu werden. Der Regen durchnäßte mich
in ein paar Augenblicken völlig. Mein Haar hing wie ein feuchtes Handtuch fast
bis zur Taille herunter.
Die Dunkelheit brach schnell herein,
und ich verlor die Orientierung. Die Tennisschuhe waren feucht von dem Wasser,
das sich auf dem Boden des Schiffes angesammelt hatte. Ich überlegte, ob es
soviel werden würde, daß ich es ausschöpfen mußte. Aber womit? Der einzige
Behälter war ein voller Benzinkanister. Plötzlich drehte der Wind die Richtung,
das kleine Boot erzitterte und neigte sich kurz auf die Seite.
Plötzlich sah ich Lichter — das rote am
Landesteg auf der Insel und das gelbe bei Max’ Hütte. Sie waren noch ziemlich
weit entfernt, und wegen der Gegenströmung würde es noch eine Weile dauern, bis
ich sie erreichte, aber wenigstens wußte ich, wohin ich fahren mußte. Ich gab
mehr Gas und bemühte mich, das Boot auf Kurs zu halten.
Dann war ich so nahe heran, daß ich die
Fähre an ihrem Anlegeplatz als dunklen Umriß erkennen konnte. Um sie
herumzufahren und am Bootshaus zu landen würde wegen des unruhigen Wassers
ziemlich schwierig werden, und ich wollte es nicht riskieren, das Boot zu
beschädigen. Besser, ich legte bei der Fähre an, wo ich das Boot an Land ziehen
konnte. Max würde mich dann übersetzen. Er würde sicherlich wütend sein, weil
ich mich vom Sturm hatte überraschen lassen, und Stephanie war sicherlich
empört, weil ich eines »ihrer« Boote in Gefahr gebracht hatte, aber ihre
Vorwürfe würden
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