Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
Einerseits war sie stolz darauf, andrerseits fühlte sie
sich gedemütigt, weil sie drauf angewiesen war.
    Mit dem Delta geht es ihr ähnlich.
Immer wieder sagte sie, wie sehr sie es wegen seiner Rückständigkeit hasse. Wie
schlecht man die Chinesen behandle. Trotzdem verbrachte sie jeden Sommer bei
ihrem Großvater. Ich wußte, daß Angela, wenn Neal die Insel kaufte, gern als
Managerin herkommen würde. Aber sie hat mir auch erzählt, daß sie sich hier wie
gefangen fühlt und lieber in einer großen Firma in New York oder L. A. arbeiten
würde.«
    Sam schwieg einen Augenblick. »Liebe
und Haß — vielleicht gewinnt diese Selbstverachtung eines Tages die Oberhand
und zerstört sie.«
    Wir schwiegen alle eine Weile, und ich
entdeckte plötzlich, daß mir Sam Oliver sehr gefiel. Dann mahnte ich mich zur
Vorsicht. Vielleicht erzählte er das alles nur, um unser Vertrauen zu gewinnen.
    »He, Denny«, sagte ich. »Warum machen
wir nicht weiter!« Im Erdgeschoß sahen wir uns nur flüchtig um. Es war so
herausgeputzt worden, daß selbst der noch nicht renovierte Speiseraum
präsentabel wirkte. Die Tür zur Bibliothek war noch immer abgeschlossen, und
als Sam sich deswegen erkundigte, erklärte ihm Denny ziemlich kurz, daß Neal
ihm den Raum später selbst zeigen wollte.
    Also machten wir uns auf in den ersten
Stock. Dort erläuterte Denny die Kosten für die Zimmer, in denen Sam und ich
wohnten, und gab einen Überblick über die Ausgaben, die für die Renovierung des
ganzen Stockwerks noch erforderlich waren.
    Der zweite Stock war der
interessanteste — zumindest für mich. Ich habe eine Schwäche für staubige
Dachböden und als Kind am liebsten dort gespielt.
    Und dieser hier war besonders
prachtvoll, mit steilen schrägen Wänden, einem Bohlenfußboden, kleinen, runden,
mit Spinnweben bedeckten Fenstern, Dachbalken und dunklen Ecken. Es roch
trocken nach Moder, Staub und lang verlorenen Hoffnungen und Träumen.
    Fünfzehn kleine Räume waren hier oben
geplant gewesen. Einige Zwischenwände hatte der frühere Besitzer schon
einziehen lassen, aber nichts war fertig. Ich wanderte den Gang entlang zu
einer Tür am Ende. Dahinter tat sich ein Paradies auf, wenigstens für mich. Der
Raum war voll mit altem Zeug: Schachteln, Schrankkoffern, Haufen alter Kleider,
Samtvorhängen und mottenzerfressenen Teppichen. Sogar ein schiefer Puppenwagen
mit zerbrochenen Federn war da.
    »Was ist das für Zeug hier?« rief ich.
    »He, wo sind Sie?« fragte Denny zurück.
    »Hier, am Ende vom Gang.«
    Die beiden Männer tauchten in der Tür
auf. »Das ist der Trödel aus dem Haus«, erklärte Denny. »Das gute Zeug haben
wir verkauft, an einen Antiquitätenhändler. Oder es ging auf den Trödelmarkt.
Wir haben fast zweitausend Dollar eingenommen. Alles übrige haben wir hier
zusammengetragen. Irgendwann wird es mal von einem Müllwagen abgeholt.«
    »Haben Sie was dagegen, wenn ich mir
die Sachen während meines Aufenthalts mal ansehe?«
    »Natürlich nicht. Aber warum?«
    Ich wollte ihm nicht von meiner
Vorliebe für Dachböden erzählen oder daß es bei den McCones keinen Trödel
gegeben hatte, denn was der eine wegwerfen wollte, bedeutete für den anderen
möglicherweise einen großen Schatz. »Ich mag solche Sachen«, sagte ich deshalb
nur.
     
     
     

9
     
    Ich hatte kein Motorboot mehr
gesteuert, seit mein Onkel Ed seines verkauft hatte. Da war ich siebzehn
gewesen. Doch nach ein paar Anweisungen von Max und einer Proberunde um den
künftigen Hafen war alles wieder da. Ehe ich losbrauste, fragte ich Max noch,
wie die Geschichte mit den Unterhosen geendet habe. Er grinste wie ein Pirat
und sagte, Neal sei wütend gewesen, weil die Wäsche immer noch dagehangen habe,
aber Sam habe nur gelacht.
    Es ging auf vier Uhr zu, und die
sonnige Helle des Tages war verblaßt. Der Himmel hatte sich bezogen, Wolken
türmten sich im Osten. Ich nahm mir vor, auf jeden Fall um halb fünf
umzudrehen, wie weit ich auch kommen würde. Es wäre leichtsinnig gewesen, sich
von der Dunkelheit oder einem plötzlichen Sturm überraschen zu lassen, so
unerfahren wie ich auf dem Wasser war.
    Das Boot war vertrauenswürdig. Es hatte
einen Evinrude-Außenbordmotor von zwanzig PS und wirkte gut gepflegt. Unter dem
Hecksitz lag eine Schwimmweste und ein gefüllter Reservekanister. Ich steuerte
um die Anlegestelle der Fähre, winkte Max noch einmal zu, der gerade seine
Wäsche hereinnahm, und tuckerte gemächlich an den Binsen vorbei, die den
Obstgarten

Weitere Kostenlose Bücher