Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
kranker Mensch sollte nicht so
dicht beim Fenster schlafen.
    Das Bett sah so aus, als ob es sich
leicht über die Holzdielen des Bodens schieben ließe. Ich gab ihm einen
vorsichtigen Stoß. Es glitt leicht vom Fleck.
    Ich ging durch das Zimmer und prüfte,
wo es am wärmsten war. In diese Ecke schob ich dann das Bett. Tin Choy Won
stöhnte einmal kurz auf, wie in sanftem Protest, dann schlief er weiter.
    Da ich im Schrank keine zusätzliche
Wolldecke finden konnte, breitete ich eine dicke, gestrickte Bettüberdecke über
seine Füße. Ein Kissen war beim Schieben des Bettes heruntergefallen. Ich schob
es ihm nicht wieder unter den Kopf, sondern legte es ans Fußende.
    Einen Augenblick blieb ich, den alten
Mann betrachtend, stehen und überlegte, warum er hergekommen war. Dann
erinnerte ich mich an unser Gespräch und wie ich ihm erzählt hatte, daß einer
der Gründe meines Hierseins die Sorgen waren, die sich meine Schwester wegen
Sams Besuch machte, der ein Finanzexperte war. Mr. Won war wahrscheinlich
hergekommen, um Angela als Vertreter der Familie zur Seite zu stehen, wenn Sam
ihre Unterschlagungen entdeckte, die sogar ihm, einem Mann ohne Schulbildung,
nicht entgangen waren. Angela hatte gesagt, ihr Großvater sei eben Chinese und
zu fürsorglich. Dabei hatte er ihr nur seine Liebe und Unterstützung geben
wollen. Und wahrscheinlich hatte er sich für seine Mühe nun eine
Lungenentzündung eingehandelt.
    Auf dem Weg zu meinem Zimmer hörte ich im
Gang im ersten Stock heftiges Hämmern. Es kam vom anderen Ende des Ganges. Ich
folgte dem Geräusch. Denny nagelte ein großes Brett über eine zerbrochene
Fensterscheibe in einem der unbewohnten Gästezimmer.
    »Was ist passiert?«
    Denny schlug mit Anmut und Treffsicherheit
einen neuen Nagel in das Brett. »Ein verdammter Ast von der Ulme draußen hat
die Scheibe eingeschlagen. Seit Wochen sage ich zu Neal, daß die Bäume
beschnitten werden müßten. Aber hört er auf mich? Nein. Angela behauptet, es
sei dafür kein Geld da.«
    Ich wußte nicht, was ich darauf
erwidern sollte, und sah ihm schweigend beim Nägeleinschlagen zu. Als er fertig
war, fragte ich: »Ist die Fähre hier?«
    »Ja. Wie Stephanie sagte, gibt es eine
Handwinde. Dann habe ich das Boot ins Bootshaus zurückgebracht. Und jetzt
bemühe ich mich zu verhindern, daß das Haus auseinanderfällt.«
    Wie um Dennys Sorgen zu bestätigen,
heulte draußen ein Windstoß ums Haus, und irgendwo über uns ertönte ein Rumpeln
und Gleiten. Etwas fiel vor dem anderen, noch ganzen Fenster herunter und
zerschellte am Boden.
    »Was war das?« fragte ich.
    Denny lauschte. Wieder heulte eine Böe
ums Haus, doch nichts passierte. »Ein Ziegel«, sagte er. »Vom Dach. Habe schon
x-mal gesagt, daß es repariert werden müßte. Aber wer hört auf mich?« Ich klopfte
ihm beruhigend auf den Arm und ging zu meinem Zimmer. Im Gang war es eiskalt,
man konnte den Wind oben durch die Löcher im Dach heulen hören.
    Das erste, was ich bei meinem Eintreten
sah, war die Puppe aus der Abstellkammer. Sie lag auf dem Fenstersitz, wo ich
sie deponiert hatte, und spiegelte sich in der dunklen Fensterscheibe. Es war
erst kurz vor fünf, doch es war schon völlig Nacht. Ich kniete mich auf den
Sitz und spähte hinaus. Ich konnte die Silhouetten der Ulme vor dem Haus und
der Palme an der Ecke erkennen, die im Wind schwankten. Aus den unteren
Fenstern fiel Licht auf einen Teil des Rasens. Er war mit Zweigen und Wedeln
bedeckt. Die Wagen in der Auffahrt standen wie verloren da. Ich starrte auf den
MG und wünschte, er stünde zu Haus in der Garage und ich säße vor meinem Kamin,
tränke ein Glas billigen Rotwein und läse in einem Paperback.
    Ein heftiger Windstoß rüttelte an
meinem Fenster. Ich fuhr zurück und beschloß dann, mich wärmer anzuziehen. Ich
holte einen dicken Rollkragenpullover hervor und zog ihn über, dann noch den
Fischerpullover. Ich zog die Stiefel aus und kroch ins Bett. Während ich mir
die Kissen im Nacken zurechtschob, begann ich zu überlegen.
    Ich sollte mich freuen, daß ich Angelas
Unterschlagungen entdeckt hatte. Aber sie schienen nichts mit dem Einsiedler
und der Puppe zu tun zu haben. Oder den Küchenschaben. Warum sollte sie die
anderen von der Insel verscheuchen wollen, wenn sie durch sie profitierte? Ich
bezweifelte auch, daß sie mit dem Verlust der Kanus etwas zu tun hatte. Sie
hatte keine neuen bestellt, was die logische Folge gewesen wäre, wenn sie sie
selbst losgeschnitten hätte. Und Max’ Tod?

Weitere Kostenlose Bücher