Im Auge des Orkans
die Ausdrucke in seiner Hand. Angela biß sich auf die Lippen. »Möchtest du
uns nicht aufklären, Angela?«
»Ich habe nicht gedacht, daß du in
anderer Leute Privatsachen herumschnüffeln würdest!«
»Das ist keine Privatsache! Es
sind Unterlagen über unser geschäftliches Projekt: Eingänge, Vorschüsse,
Zahlungen. Aber es gibt zwei Arten von Zahlungen. Kannst du sie mir erklären?«
Sie wandte sich abrupt ab und starrte
zur Fenstertür hinaus. Der Wind rüttelte an den Scheiben, ein leiser Luftzug
war zu spüren. »Wovon redest du überhaupt, Sam?« fragte Neal.
»Ich spreche davon, daß Angela
zweierlei Bücher führt. Es geht um die Warenlieferanten. In einem Fall sind die
Namen gleich, im anderen etwas verschieden, aber so gering, daß nur derjenige,
der die Ware bestellte, den Unterschied hätte merken können. Und bei den
Rechnungen mit den nicht ganz richtigen Namen sind die Beträge viel höher
eingesetzt, und nur diese Rechnungen hat sie dir gezeigt.«
»Aber...« Neal fuhr herum und starrte
Angela an. Sie stand mit dem Rücken zu ihm gewandt da und starrte in die
Dunkelheit vor den Fenstern. »Aber ich habe alle Rechnungen kontrolliert, sie
waren alle von den Leuten, die die Bestellung aufgegeben hatten,
gegengezeichnet.«
»Es waren falsche Rechnungen und
falsche Unterschriften.«
Neal brauchte ein paar Sekunden, um die
Worte seines Bruders zu erfassen. »Und was bedeutet Abakus?«
»Siehst du das Code-Wort hier oben am
Anfang des Blattes? Es ist ein gar nicht komischer Scherz, den Angela mit sich
selbst getrieben hat. Zu schade, daß wir die Anspielung verstanden haben!« Auf
Neals Wangen erschienen rote Flecken. Er murmelte etwas Unverständliches, stand
auf und packte Angela am Arm. Er drehte sie herum und schleuderte sie gegen die
Wand. Angst blitzte in ihren Augen auf.
»Stimmt es, du Miststück?« schrie Neal
mit hoher, atemloser Stimme. »Stimmt das, was er sagt?«
Angela war sprachlos. Sie blickte voll
Panik zu Sam, doch der sah weg.
»Antworte mir!« Neal schüttelte sie
wild.
Ich wollte schon aufspringen, um ihr
beizustehen, als sie sich von ihm losmachte und ihn so heftig zurückstieß, daß
er rücklings gegen die Schreibtischkante fiel. »Laß deine dreckigen Finger von
mir, du — du Eunuche!«
Neal hatte Mühe, sein Gleichgewicht
wiederzufinden. Der Unterkiefer fiel ihm herab.
Mit einem Satz war Sam auf den Beinen
und um den Schreibtisch. Er ergriff Neal am Arm und führte ihn zu einem Sessel.
Neal keuchte. Ich hatte Angst, er würde einen Anfall bekommen.
Zu Angela gewandt sagte Sam: »Wir
sprechen hier nicht über das Sexualleben von irgend jemandem, sondern über
Unterschlagungen.«
Das Wort fiel zum erstenmal und schien
Angelas Wut zu dämpfen. Sie legte die Finger an den Mund. Neal atmete immer
noch schwer, aber er wirkte, als habe er sich wieder in der Gewalt. Nach
dreißig Sekunden sagte Angela: »Sam, ich wollte doch nicht — «
»Was wolltest du nicht? Meinen Bruder
einen Eunuchen nennen? Oder willst du behaupten, daß du das Geld nur irrtümlich
abgezweigt hast?«
»Sam —«
»Ich werde Anzeige erstatten. Wenn das
Telefon nicht tot wäre und die Leute des Sheriffs Wichtigeres zu tun hätten,
kämst du heute noch ins Gefängnis.«
»Sam!« Angela streckte die Hände aus.
»Das kannst du mir doch nicht antun. Dazu sind wir schon zu lange befreundet.
Ich zahle das Geld zurück. Jeden Penny.«
»Wir waren Freunde. Waren !«
Sie wandte sich ab und ging auf die Tür
zu. Sam trat ihr in den Weg und fragte: »Wohin willst du?«
»Nach unten. Mein Großvater — «
»Es hat keinen Zweck, die Unterlagen zu
vernichten. Ich habe den Ausdruck. Und auch die Diskette.«
Einen Augenblick schien es, als wolle
sie ihm mit ihren langen roten Nägeln das Gesicht zerkratzen. »Mein Gott!«
sagte sie und spielte die Gebrochene. »Wofür hältst du mich eigentlich?«
»Ich kenne dich. Du widerst mich an.«
Verzweifelt blickte sie sich um. Dann
lief sie zu den Fenstertüren. Ich rannte ihr nach.
In diesem Augenblick wurde das Licht
schwächer. Es flackerte noch einmal kurz auf und erlosch.
21
Die Stille im Zimmer war so vollkommen
wie die Dunkelheit. »Zum Teufel, was...«, begann Sam. Neal stöhnte. Und Angela
rüttelte an der Fenstertür. Ich folgte dem Geräusch, bekam sie zu fassen und
drehte ihr die Arme auf den Rücken.
»Lassen Sie das!« schrie Angela. »Ich
muß nach unten. Mein Großvater ist ganz allein — «
Ich ließ nicht locker. »Als
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