Im Auge des Orkans
hereindrang. »Ich hab
für eine große Aufregung gesorgt, was?«
»Ja. Und jetzt gehst du rein und
entschuldigst dich und sagst, daß du die ganze Geschichte erfunden hast.«
»Warum denn das?«
»Geh rein und benimm dich wie ein guter
Junge.«
»Du willst vielmehr, daß ich mich wie
ein Dummkopf benehme!«
»Ich würde dich nicht darum bitten,
wenn es nicht notwendig wäre. Sie sollten doch nicht in Panik geraten, oder?«
»Nein.«
»Dann spiel mit.«
Er seufzte. Dann sagte er mit der
weisen Resignation eines Elfjährigen: »Na schön. Ich hab mich schon früher wie
ein Dummkopf benommen. Da kann ich es auch wieder tun.«
24
Als Andrew und ich ins Wohnzimmer
zurückkehrten, hob sich die Gruppe vor dem Kamin wie ein schwarzer Schatten
gegen den flackernden goldorangefarbenen Hintergrund ab. Die Flammen züngelten
den Kamin hoch, von einem plötzlichen Luftzug in den Schornstein gesogen.
Genauso schnell fuhr eine Windbö herab und drückte auf das Feuer. Eine
Rauchwolke verbreitete sich im Zimmer, und eine der Silhouetten — Stephanie — ging
zum Kamin und stocherte mit dem Schürhaken in den Scheiten.
Andrew neben mir wurde steif und packte
meinen Arm.
»Komm schon!« sagte ich.
»Nein, du — «
»Doch. Jetzt.« Ich schob ihn vorwärts.
Da bemerkte ich, daß nicht so viele
Menschen im Zimmer waren wie vorhin. Denny saß zusammengesunken auf einem
Sitzkissen. Evans und Patsy hatten sich auf dem Boden niedergelassen, jeder
eines der kleinen Mädchen im Arm. Neal wanderte mit auf dem Rücken
verschränkten Armen auf und ab. Sam und Angela waren verschwunden.
Als ich mich nach ihnen erkundigte,
sagte Stephanie: »Angela wurde hysterisch und rannte hinaus. Sam folgte ihr.«
»Wohin?«
Sie zuckte die Achseln, richtete sich
auf und legte den Schürhaken an seinen Platz. »Nach unten. Sie hatte die
verrückte Vorstellung, daß ihr Großvater sie braucht.«
»Das Zimmer ist doch abgeschlossen?«
fragte ich Patsy.
»Ja. Und den einzigen Schlüssel habe
ich. Wahrscheinlich hat Sam sie in ihr eigenes Zimmer gebracht, damit sie sich
beruhigt.« Wenn ich Sam nicht etwas gekannt hätte, wäre ich sicherlich
verwundert gewesen, daß er sich so um jemanden kümmerte, den er verhaften
lassen wollte. Aber ich fand sein Verhalten völlig logisch. Er war leicht zu
verletzen, ärgerte sich schnell, war aber auch sehr mitfühlend. Und er wußte,
er war der einzige Mensch, dessen Freundlichkeit Angela jetzt ertragen konnte.
Stephanie hatte eine Flasche Brandy
entkorkt und goß sich reichlich ein. Mit fragendem Blick hielt sie die Flasche
hoch.
»Wir hatten doch vereinbart — kein
Alkohol!« bemerkte Denny. »Du hast das gesagt, aber keiner hat dir
zugestimmt. Es ist einfach zu kalt.« Denny blickte zum Feuer. »Möchte noch
jemand?« fragte Stephanie in die Runde.
»Ich trinke einen Schluck«, sagte
Patsy.
»Ich auch.« Evans gab Jessamyn meiner
Schwester und holte die Drinks.
Ich lehnte mit einem Kopfschütteln ab.
Neal marschierte schweigend weiter auf und ab.
Andrew stand immer noch steif neben
mir. Ich sagte: »Andrew möchte sich entschuldigen.« Andrew schwieg. »Na, los,
Andrew!«
»Tut mir leid, was ich wegen Mr. Won
gesagt habe.«
»Und?«
»Er wurde nicht ermordet. Das habe ich
erfunden.«
Es klang so überzeugend wie ein
Wetterbericht, der uns eine klare und trockene Nacht versprochen hätte.
»Das ist alles Unsinn«, sagte Denny.
Patsy starrte ihn wütend an. »Mein Sohn
ist kein Lügner.«
Evans berührte sie am Arm und reichte
ihr das Brandyglas. »Er sagt nicht die Wahrheit, Pats. Meiner Meinung nach ist
er von seiner Tante Sharon präpariert worden.«
Andrew sah mich mit einem Blick an, der
sagte: Na, ich hab’s versucht. Alle anderen blickten mich jetzt auch an — vorwurfsvoll.
Ich fühlte, wie sich mein Magen zusammenzog, als ich mir eingestehen mußte, daß
mein Plan nicht geklappt hatte. »Sie haben recht, Evans, ich bat ihn, das zu
sagen, weil ich nicht wollte, daß irgend jemand von Ihnen in Panik gerät.«
Es entstand ein Schweigen, das sich
immer mehr ausdehnte, während jedem von ihnen allmählich bewußt wurde, was
tatsächlich geschehen war — daß Tin Choy Won ermordet worden war und sein
Mörder sich hier auf der Insel befand.
Der Wind heulte im Kamin, die Flammen
zischten, und das zuunterst liegende Holzscheit brach in zwei Teile, einen
Funkenschauer versprühend.
Automatisch ergriff Stephanie den
Schürhaken, und während sie im Kamin herumstocherte,
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