Im Augenblick der Angst
Platz zwischen ihnen zu ergattern. Lieber schaute er sich um, bis er einen Detective entdeckte, mit dem er letztes Jahr bei einer Razzia in einer Crystal-Meth-Bude in Uptown zusammengearbeitet hatte. »Was läuft hier ab?«
»Wohl ’ne Übergabe, die schiefgegangen ist«, antwortete der Kollege. »Einige Leichen. Insgesamt sechs oder acht Angreifer. Auf der Flucht haben sie einen Cop erwischt.«
»Ist er okay?«
Der Detective blickte zur Seite. »Hat ’ne Kugel in den Kopf gekriegt.«
Dann saß irgendjemand gründlich in der Scheiße. In Chicago erschoss man nicht einfach so einen Cop. Halden deutete auf das Sicherheitsbüro. »Und was machen die ganzen Jungs da drinnen?«
»Haben sich das Videoband aus einem der Läden angeschaut.«
»Was Verwertbares?«
»Ja. Einer sieht aus wie Jack Witkowski.«
»Der Verdächtige im Shooting-Star-Raub?« Einen Moment lang war Halden nur überrascht, bevor sich sein Magen schlagartig zusammenzog. Gestern hatte Tom Reed gesagt, dass der Drogendealer Witkowski erwähnt hätte. Danach war Tom untergetaucht, und als Halden ihn endlich ans Telefon bekam, hatte er ziemlich verängstigt geklungen – während im Hintergrund der wirre Geräuschteppich eines öffentlichen Ortes zu hören gewesen war, einschließlich eines monotonen Beats, wie von Popmusik.
Möglicherweise dieselbe Musik, die jetzt aus der Soundanlage drang. Halden wurde schwindlig. Nein! Nein, er musste sich irren. Der andere Detective wollte schon gehen, aber Halden erwischte ihn noch am Arm. »Moment. Hast du die Aufzeichnung gesehen?«
»Ja.«
»Wer war noch da?«
»Niemand, den irgendwer erkannt hätte. Aber der Winkel war auch ziemlich beschissen. Jetzt gehen sie die Bänder aus den anderen Geschäften durch.«
»Aber da war noch jemand?« Panik schlich sich in Haldens Stimme ein, er konnte es nicht verhindern. »Ich meine, irgendjemand?«
Der Detective musterte ihn zweifelnd. »Ja. Witkowski, wenn es denn Witkowski war, hat sich mit zwei Leuten unterhalten, einem Mann und einer Frau. Sahen aus wie gute Steuerzahler. Sie hatten eine Tasche dabei, die sie ihm gerade zeigen wollten, als der ganze Wahnsinn losbrach. Am Ende sind sie abgehauen.«
Halden ließ den Arm des Detectives los und zwang sich zu einem ruhigen Nicken.
»Alles okay mit dir?«, fragte der Kollege.
»Ja, ja. Danke.« Er wandte sich ab. Der Detective starrte ihn noch kurz an, ehe er die Achseln zuckte und sich auf den Weg zur Vordertür machte.
Tom und Anna Reed. Kein Zweifel. Das bedeutete, dass er seit gestern über Informationen verfügte, die diese Katastrophe vielleicht hätten verhindern können. In all den Nachrichten auf Toms Mailbox hatte er nie das Geld erwähnt, um die beiden nicht zu verschrecken und schlimmstenfalls in die Flucht zu schlagen. Stattdessen hatte er so getan, als wollte er den Dealer hochgehen lassen, während er eigentlich nur Tom und Anna in die Falle locken wollte. Hätte er sie erst mal in den Fingern gehabt, hätte der sensationellen Festnahme nichts mehr im Wege gestanden – man hätte ihn zum Helden erklärt, seinen Namen in der Zeitung bejubelt, und was der Lieutenant oder die anderen Politfritzen dachten, wäre komplett egal gewesen. Das war der Plan.
Also war alles seine Schuld. Zumindest teilweise. Wenn er die Wahrheit gesagt hätte, hätte alles anders laufen können. Und der tote Kollege könnte noch am Leben sein.
Halden hatte schon öfter Scheiße gebaut, aber das hier hatte eine ganz neue Qualität.
Tief einatmend steuerte er auf das Sicherheitsbüro zu, während er überlegte, wie er sein Wissen mit den hohen Tieren teilen konnte, ohne dabei zum Sündenbock für die ganze Katastrophe zu werden.
Acht Männer hatten sich in die winzige Kammer gequetscht und unterhielten sich leise, darunter der Vize des Departments, der Boss seines Bosses. Halden nickte ihm zu und wollte ihn schon mit einem Winken zu sich bitten – als er plötzlich eine Idee hatte.
Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit, das Ruder herumzureißen. Und am Schluss als Held dazustehen.
In seinem Beruf ging es vor allem darum, die richtigen Fragen zu stellen. Momentan dachte er nur über sein eigenes Versagen nach, aber daran würden Tom und Anna keinen Gedanken verschwenden. Sie hatten einen Plan gehabt, und dieser Plan war auf furchtbare Weise nach hinten losgegangen. Die eigentliche Frage lautete also: Was taten sie jetzt?
Nun, da er die Frage so gefasst hatte, war die Antwort offensichtlich: Sobald sie
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