Im Augenblick der Angst
stattdessen die rechte. »Wenn ja, werden sie uns verfolgen.«
»Genau wie Malachi und Jack und die Cops, die für ihn arbeiten.«
Eine Weile schwiegen sie. Blitze zerfetzten den Himmel wie eine explodierende Glühbirne. »Also, was machen wir jetzt?«, fragte Anna schließlich.
Die Ampel vor ihnen schaltete auf Rot. Tom bremste und lehnte sich zurück, während der Regen aufs Dach prasselte und der Radiomoderator vor sich hinflüsterte. Nach einigen Sekunden blickte er zu Anna hinüber. »Liebling«, sagte er, »ich habe keine Ahnung.«
Halden war gerade in Annas und Toms Straße eingebogen, als die ersten Berichte eintrudelten. Wie die meisten Detectives ließ er den Polizeifunk im Auto mitlaufen, aber leise genug, um nur unterbewusst zuzuhören. Chicago war eine große Stadt mit reichlich bösen Jungs. Mit der Zeit gewöhnte man sich an den Rhythmus, an das fortlaufende Hin und Her von Chaos und Tragik.
Aber diesmal klang es anders. Die Meldungen folgten rascher aufeinander, die Stimmen wirkten angespannt. Halden bremste vor dem zweistöckigen Ziegelbau und stellte den Funk lauter.
»10-1, alle verfügbaren Einheiten, Schüsse in der Century Mall …«
» – Krankenwagen, wir brauchen noch einen Krankenwagen –«
» – mein Gott, es ist wie im Krieg …«
» – Officer am Boden, ich wiederhole, Officer am Boden …«
Er wusste nicht, was da ablief, aber er wusste, was er zu tun hatte. Die Mall lag in seinem Gebiet, also war die Sache sein Problem. Er sollte das Blaulicht rausholen und aufs Gas steigen.
Stattdessen parkte er, stieg aus und hastete die Vortreppe zum Haus der Reeds hinauf. Er drückte auf die Klingel und hielt sie gedrückt, lehnte sich dagegen, schlug gegen die Tür. Nichts.
Halden lief hinters Haus, in den kleinen Garten mit dem umgedrehten Picknicktisch und den verwilderten Blumenbeeten, blickte hinauf zum Fenster, formte die Hände zu einem Trichter und rief. »Tom! Anna! Hier ist Detective Halden. Ich muss sofort mit Ihnen sprechen!«
Nichts.
Beim zweiten Mal rief er lauter, damit es auch die Nachbarn mitbekamen – in der Hoffnung, dass die Scham die beiden vor die Tür treiben würde. »Mr. und Mrs. Reed, hier ist die Polizei! Verlassen Sie sofort das Haus!«
Nichts.
Verdammt. Wo steckten die nur? Zum Haus zu fahren war natürlich reinste Spekulation gewesen, aber den Versuch immerhin wert. Hatte er sie irgendwie verschreckt? Hatten sie am Ende mit einem Kollegen gesprochen und herausgefunden, dass er seinem Vorgesetzten nichts erzählt hatte? Halden kaute auf seiner Lippe und kämpfte gegen das Verlangen nach einer Zigarette, bis er sich schließlich umdrehte und zum Auto zurückkehrte. Solange die beiden verschwunden waren, sollte er wenigstens seinen Job machen.
Zehn Minuten später war er bei der Mall – und erkannte sie kaum wieder. Die Glaswand an der Vorderseite lag in Scherben auf dem Asphalt. Straße und Gehsteig wurden von einem Krankenwagen und einem guten Dutzend Streifenwagen versperrt und in blinkendes Blau getaucht. Sirenengeheul aus sämtlichen Himmelsrichtungen. Noch während sich Halden orientierte, kamen zwei Sanitäter mit einer Trage aus dem Gebäude gelaufen, daneben noch einer, der eine Kompresse auf die blutige Brust des Verletzten drückte. Hinter dem gelben Absperrband hatten sich um die zweihundert aufrechte Bürger versammelt, um die Show mitzuverfolgen. Eine Journalistin warf einem Cop wüste Beschimpfungen an den Kopf, weil er sie nicht durchlassen wollte.
Halden stellte den Wagen am Straßenrand ab und zeigte den Jungs am Eingang seine Marke. »Welcher Detective hat die Leitung?«
»Detective? Guter Witz.« Der Cop schüttelte den Kopf. »Die halbe Chefetage ist hier. Und die Leute vom Security Office.«
In der Mall herrschte eine surreale Stimmung. Stühle und Bänke waren umgekippt, Schaufensterscheiben zersplittert. Aus den Lautsprechern dudelte noch immer Popmusik, aber statt den üblichen Kundenscharen streiften Kriminaltechniker, Sicherheitsbeamte und Fotografen durch die Gänge. Das Geschehen schien sich vor allem einige Etagen höher abzuspielen, aber bevor er den Schauplatz selbst in Augenschein nahm, wollte Halden wissen, was genau hier vorgefallen war.
Das Sicherheitsbüro der Mall war eine kleine, fensterlose Kammer mit einigen grobkörnigen Monitoren, vor denen sich viel zu viele Menschen drängten. Als Halden bemerkte, wie sehr sein Dienstgrad den Durchschnitt drücken würde, gab er die Hoffnung auf, einen
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