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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sarkey
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Pizzaservice-Prospekte, bis er eine Schachtel Streichhölzer gefunden hatte. Er zündete die Kerze an und stellte sie auf den Tisch.
    »Was tust du da?«, fragte Marshall.
    Es ergab Sinn – für die Reeds hatte alles genau so angefangen. Schön, wie sich der Kreis am Ende schloss. Jack fasste den breiten Viking-Herd an den Rändern und zog, bis der Sockel über den gefliesten Boden knirschte. Ein silberfarbener, flexibler Schlauch spannte sich von der Wand zum Ofen. Jack kletterte auf die Theke, steckte einen Fuß in den Spalt und stampfte auf die Stelle, wo der Schlauch ins Gerät mündete, stampfte wieder und wieder, bis sich das Verbindungsstück durchbog, und dann, nach einem letzten kräftigen Tritt, abriss. Der zuckersüße Furzgeruch schnell aufsteigenden Gases erfüllte den Raum.
    »Jack –«
    »Gehen wir.«
    Marshall sah erst ihn an, dann den Ofen, schüttelte den Kopf und machte sich auf den Weg, den Flur hinunter. Jack folgte ihm bis vor die Wohnung und schloss die Überreste der Tür hinter sich. Gemeinsam liefen sie die Treppe hinunter und traten auf die Veranda. Seit Tagen hatte sich Jack nicht mehr so gut gefühlt – die Zerstörung hatte Wut, Frustration und Trauer in eine beinahe sexuelle Erregung verwandelt, zumindest vorübergehend.
    Sie ließen sich Zeit, als sie die Straße hinuntergingen. Nach einer Weile sagte Marshall: »Zu zweit flieht es sich besser.«
    Jack nickte.
    »Der andere kann einem den Rücken freihalten. Und man muss sich nicht ständig Sorgen machen, dass er doch noch bei den Cops gelandet ist und jetzt einen Deal abzieht. Ich fänd’s gut, wenn wir zusammenbleiben. Doch eins musst du wissen.« Marshalls Stimme hatte einen offiziellen Tonfall angenommen, als würde er jedes Wort sorgfältig wählen. »Das mit Bobby tut mir leid. Aber du musst loslassen.«
    »Er war nicht dein Bruder.«
    »Das ist wahr, er war nicht mein Bruder.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Nun.« Marshall blieb stehen, und Jack drehte sich zu ihm um. »Dass ich hier fertig bin. Nichts gegen dich oder Bobby, aber ich bin hier fertig.«
    »Ohne das Geld können wir nicht abhauen.«
    »Schwachsinn.« Marshall schüttelte den Kopf. »Wenn wir wüssten, wo es ist, könnte mich nichts davon abhalten, es mir zu holen. Das ist dir doch wohl klar. Aber wir wissen es eben nicht, und deshalb bin ich hier fertig. Wenn du mitkommen willst – gerne. Wenn nicht, musst du dich allein durchschlagen.«
    Jack kniff die Augen zusammen. Er kannte Marshall schon seit langer Zeit, sie hatten unzählige Jobs gemeinsam durchgezogen. Aber am Ende war jeder für sich selbst verantwortlich. »Vielleicht ist es besser so.«
    Sie blickten sich an, bis Marshall den Kopf schüttelte und weiterging. Jack folgte ihm.
    Unter dem Scheibenwischer des Ford-Trucks klebte ein grell orangefarbener Strafzettel wegen Parkens ohne Anwohnerausweis. Diese verdammte Stadt. Jeder versuchte, den anderen übers Ohr zu hauen, selbst die Verwaltung, nein, ganz besonders die Verwaltung. Jack ließ den Strafzettel auf den Asphalt fallen und zwängte sich ins Führerhäuschen, Marshall stieg auf der anderen Seite ein.
    Ja, sie konnten ohne das Geld abhauen. Aber zulassen, dass Tom und Anna gewannen? Lieber hätte Jack sich sein restliches Haar ausgerissen, als sich mit dieser Vorstellung abzufinden.
    Ach wirklich? Du würdest es also bevorzugen, deine verbleibenden Tage im Hochsicherheitsknast zu verbringen? Dreiundzwanzig Stunden täglich in der Einzelzelle?
    Der Gedanke kam aus einem ruhigeren Winkel seines Geistes gekrochen – und erwischte ihn eiskalt, kühlte die Zerstörungslust erbarmungslos ab. Hatte er sich wirklich so sehr in diese Sache reingesteigert? Heute Vormittag hatte er einen Cop erschossen – wenn sie ihn erwischten, war’s das. Bei allem anderen wären sie halbwegs glimpflich davongekommen, aus Mangel an Beweisen oder Zeugen. Mit einem guten Anwalt wäre es auf circa zehn Jahre hinausgelaufen, nach vieren wäre er wieder draußen gewesen. Aber wer einen Cop ermordet hatte, der blieb drinnen.
    Wenn er nur wüsste, wo Tom und Anna steckten und ob sie das Geld aufgegeben hatten – denn irgendwo in dieser Stadt waren die beiden, und zwar in Sicherheit. Jack schlug mit aller Kraft aufs Lenkrad, während eine Erinnerung an Bobby vor seinem geistigen Auge auftauchte: Bobby, zehn Jahre alt, sitzt auf dem Fahrrad, das Jack für ihn gestohlen hat, zuckelt die Gasse hinunter und strahlt ihn an.
    »Wie viel war in der Tasche?«, fragte

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