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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sarkey
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Schicht Meersalz. Ordentlich gestapelt passten die Bündel gerade so in die Schachtel, fast als wären sie dafür geschaffen.
    Ein Bündel in einer Packung Speisestärke.
    Die Schokokekse waren dreißigtausend Dollar wert.
    Anfangs gingen Anna und Tom langsam und überlegt vor, doch je mehr sie fanden, desto schneller wurden sie, bis die atemlose Suche an ihnen vorbeirauschte wie eine Landschaft am Zugfenster. Sie rissen die Tüten auf, wühlten darin herum, zogen bündelweise Scheine hervor, zwei, drei Monate ihres Lebens mit einem einzigen Handgriff. Am Schluss lachten sie lauthals, übertrumpften sich gegenseitig darin, die Packungen noch schneller aufzureißen als der andere, um noch schneller noch mehr Geld zu finden. Zwei Bündel, mit Klebeband in einer Cornflakesschachtel befestigt. Zwei weitere in den Honig-Pops. Eins in einem Zwölferpack Müsliriegel. Und noch zwei, hochkant in einer Dose Haferflocken.
    Siebenunddreißig insgesamt. Siebenunddreißig Bündel à zehn Riesen.
    Dreihundertsiebzigtausend Dollar.
    Sie stapelten das Geld auf der Theke. Eine wackelige Pyramide des Reichtums, Scheine voller Mehl, Zucker und Haferflocken. Annas Bruttolohn von fünf Jahren, in etwa. Netto eher acht Jahre. Über zwei Drittel des gesamten Hauses  – einfach so auf der Küchentheke, in einem unordentlichen Stapel zwischen Papierschnipseln, Pappdeckeln, verschütteten Lebensmitteln und Zuckerhäufchen! Als sie sich über das Gesicht strich und ihr verkrampftes Lächeln bemerkte, musste Anna gegen den plötzlichen Drang ankämpfen, die Bündel aufzureißen und das Geld in die Luft zu schleudern. »Hast du jemals –«
    »Machst du Witze?« Tom schüttelte den Kopf, dasselbe blödsinnige Grinsen auf den Lippen wie sie. »Nein. Ein paar Mal hatte ich ’nen Hunderter in der Hand, aber …«
    »Die Polizei wird es beschlagnahmen. Bis es irgendwo in der Asservatenkammer endet.«
    »Oder in der Wahlkampfkasse des Bürgermeisters.« Tom streckte sich und warf einen Blick den Flur hinunter. »Wir müssen anrufen.«
    Anna nickte. »Ja, aber …«
    »Ich weiß.«
    Schweigend standen sie nebeneinander und starrten auf das Geld. Fast schon witzig, dachte Anna – im Kino wären es zehn Millionen gewesen, oder irgendeine andere absurde Summe. Dreihundertsiebzigtausend war zweifellos viel, sehr viel, aber völlig außerhalb des Vorstellbaren lag es nicht. Sie hatten beide einen guten Job, der im Jahr rund siebzigtausend einbrachte. Bevor sie das Haus gekauft hatten, bevor sie in die Fruchtbarkeitsbehandlung eingestiegen waren, hatten sie nicht schlecht gelebt. Ab und zu ein Abendessen für zweihundert Dollar, und trotzdem ordentlich was auf der Bank. Einmal im Jahr eine große Reise, nach Spanien, auf die Bahamas … Die Tatsache, dass es sich um eine greif bare, vorstellbare Summe handelte, ließ die Geldbündel vor Annas Augen zugleich realer und irrealer erscheinen. Dieses ganze Geld auf einem Haufen zu sehen – wie ein Piratenschatz, der vor langer Zeit in Vergessenheit geraten war und seither nur darauf wartete, entdeckt zu werden … »Ich bin kein Dieb.«
    »Ich auch nicht«, antwortete Tom. Ein kurzes Schweigen. »Aber wir könnten es ja immer noch zurückgeben, oder? Ich meine, wenn sich doch noch herausstellt, dass er Familie hatte?«
    »Würden wir dann nicht in Schwierigkeiten geraten?«
    »Wir müssten es der Familie ja nicht persönlich vorbeibringen. Wir könnten ihnen das Geld einfach vor die Tür legen.«
    »Und dann einfach klingeln? Klingeling, hier kommt der Geldsegen?« Anna massierte sich die Stirn. »Was, wenn es gestohlen ist?«
    »Gestohlen? Von wem?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht … vielleicht hat er es unterschlagen, oder so was in der Art?«
    »Könnte natürlich sein…« Wieder eine Pause. »Aber selbst wenn es so wäre, würde sich die Stadt kein Bein ausreißen, um den rechtmäßigen Besitzer zu finden. Nein, das würde laufen wie mit den abgeschleppten Autos, oder mit den Häusern, die sie wegen Steuerschulden pfänden. Eine zweizeilige Anzeige irgendwo in der Zeitung, und wenn sich keiner meldet, verschwindet das Zeug auf Nimmerwiedersehen.«
    Ein kühler Wind wehte durchs Fenster herein. Anna verschränkte die Arme eng vor der Brust. »Eigentlich ist es doch auch nicht anders, als wenn man einen Zwanziger auf dem Gehsteig findet. Wenn irgendjemand danach sucht, klar, dann … Aber wenn nicht, würde doch kein Mensch erwarten, dass man mit dem Schein zur Polizei rennt.«
    »Wir müssten

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