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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sarkey
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Licht fiel durch ein Plexiglas-Fenster weiter oben. Langsam setzte sie einen nackten Fuß vor den anderen und erspürte die Kanten der hölzernen Stufen mit den Zehen. Warum hatte sie keine Hausschuhe angezogen? Mit jedem Schritt wurde es dunkler, bis sie die Augen schloss und nur noch auf ihre Füße vertraute. Eine Bewegung nach der anderen: nach vorne gleiten, nach unten tasten, und runter auf die nächste Stufe. Als sie endlich Beton unter den Füßen spürte, öffnete sie die Augen und suchte mit der linken Hand nach dem Lichtschalter.
    Staubig gelbes Licht kämpfte gegen die Dunkelheit, gab sich aber bald geschlagen. Zu ihrer Linken thronte der riesige Boiler, zu ihrer Rechten der Grill, über und über verhangen von Spinnweben. Die Luft roch alt, mit einer leichten Note Bleichmittel von der Waschmaschine. Anna tapste über den kühlen Betonboden, immer darauf bedacht, nicht auf Steinchen oder Nägel zu treten, auf die Hinterlassenschaften eines ganzen Jahrhunderts. Vor ihr tauchte der Heizofen auf – eine dunkle, tentakelbewehrte Masse. Sie umrundete das Monstrum, kniete sich vor die Wand und hob die Holzverkleidung ab, die den Kriechkeller verdeckte. Ein lautes, vorwurfsvolles Kratzen hallte durch den Raum.
    Ich tu nichts Unrechtes. Wirklich nicht. Ich nehme ihm nichts weg, ich lüge ihn nicht mal an. Ich tue es für uns, für unsere Träume. Er will es genauso sehr wie ich, er will dasselbe wie ich, aber er hat Angst. Er denkt, er muss mich beschützen.
    Aber ich muss uns davor beschützen, dass er mich beschützt.
    Anna beugte sich vor und griff in die Dunkelheit, tastete sich durch Staub und Rohre, bis sie den Gurt der Sporttasche gefunden hatte. Als sie daran zog, war sie erneut überrascht, wie schwer die Tasche war. Sie musste sie ganz herauszerren, sich breitbeinig darüber stellen und den Gurt mit beiden Händen auf die Schulter wuchten. Danach passte sie die Holzverkleidung wieder ein, ging zur Treppe und schaltete das Licht aus. Die Finsternis senkte sich auf den Keller wie eine schwere Decke.
    Am Ende begeht er noch eine Dummheit, um mich zu beschützen. Am Ende gerät er noch in Panik und gibt das Geld zurück, ohne weiter nachzudenken. Das können wir uns nicht leisten. Wir müssen mit Bedacht vorgehen. Wir müssen alles exakt planen, vorsichtig sein. Das ist alles, was ich tue – ich ergreife eine Vorsichtsmaßnahme.
    Ein saurer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus, als sie die Vordertür aufsperrte. Draußen war es kühl, die Luft geschwängert vom Duft der erwachenden Natur. Ein Laster raste viel zu schnell die Straße hinunter, der Motor dröhnte ihr in den Ohren. An der Ecke des Hauses zögerte sie. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass sie nichts anhatte als einen Bademantel und einen Slip, und dass ihre Haare völlig durcheinander waren. Aber es war kurz nach drei Uhr morgens, eine tote Zeit, in der die Straße menschenleer war. Anna ging zum Auto und tat, was getan werden musste. Zum Schluss warf sie einige alte Klamotten über die Tasche, die sie schon lange zur Kleiderspende bringen wollte.
    Auf dem Rückweg ins Haus fühlte sie eine Leere in ihrem Brustkorb – als wäre sie innen hohl, als hätte sich ein Vakuum in ihr gebildet, das nun an ihrer Haut zerrte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Die kühle Nachtluft suchte sich einen Weg vorbei an ihrem Bademantel, ließ ihre Brustwarzen hart werden und jagte ihr einen Schauer den Rücken hinunter.
    Es ist richtig so. Ich liebe dich, Tom. Ich liebe dich wirklich.
    Anna eilte die Treppe hinauf und schlich sich zurück in ihre Wohnung.
     

9
     
    Nein, nein, nein! Nein!
    Jacks Hände zitterten so sehr, dass er die Zeitung auf den Tresen des Schnellrestaurants legen musste, um den Artikel lesen zu können. Als ob seine Hände das eigentliche Problem wären, und nicht das, was da schwarz auf weiß in der Tribune stand.
    Will Tuttle starrte ihm entgegen. Es war ein älteres Foto, einige Jahre her vielleicht: Will in seiner Zeit in Hollywood – gegeltes, zerzaustes Haar über dem typischen Fick-dich-Arschloch-Gesichtsausdruck, den jeder vorm Polizeifotografen aufsetzte. Und daneben die Schlagzeile, die alles auf den Kopf stellte:
     
    In einer Wohnung am Lincoln Square:
Mordverdächtiger tot aufgefunden
     
    In dem Artikel hieß es, Tuttle sei ein Hauptverdächtiger im »Shooting-Star-Raub« gewesen, bei dem es zwei Tote gegeben hatte. Und dass er, ein langjähriger Straftäter mit einer dicken Akte voller Körperverletzungen und

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