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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sarkey
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Detective, der die andere Schicht schob. Haldens Seite des Schreibtischs war tadellos aufgeräumt: eine Ablage für aktuelle Akten, ein Fülleretui und eine Liste mit den Telefonnummern der Gerichtsmedizin, an die Zwischenwand gepinnt neben einem Foto der Blockhütte, die er in Nord-Wisconsin gemietet hatte. Karpinski dagegen war ein Chaot: Auf seiner Schreibunterlage balancierten die Überreste eines Thunfisch-Sandwichs unsicher auf einem Stapel Papier, der jeden Moment umzukippen drohte.
    »Wie konnte das passieren? Warum haben Sie uns nicht zuerst darüber informiert?« Anna Reeds Stimme drang dünn aus dem Telefonhörer.
    »Weil es sich bisher lediglich um eine Theorie handelt. Ihr Untermieter Will Tuttle stand, wie man bei uns sagen würde, in Verbindung mit einem Mann, der am Tatort des Shooting-Star-Raubs tot aufgefunden wurde. Das bedeutet  –«
    »Ich schaue Law & Order .«
    »Gut. Also wissen Sie, dass Tuttle noch lange nicht in den Fall verwickelt sein muss, bloß weil er früher mal mit einem der daran Beteiligten zusammengearbeitet hat. Trotzdem war irgendjemand, wahrscheinlich ein Kollege aus der Gerichtsmedizin, sofort Feuer und Flamme und hat die Presse informiert.«
    »Aber wie sind die an unsere Namen gekommen?«
    »Ihre Namen sind doch kein Geheimnis. Ein Anruf genügt, um herauszufinden, dass das Haus Ihnen gehört. Und wie Sie die Leiche gefunden haben, stand im offiziellen Bericht.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass jeder Dahergelaufene –«
    »Ich will damit sagen, dass irgendein geltungssüchtiger Mensch mit der Presse geredet hat. Und wenn ich herausfinde, wer es war, setze ich ihn auf die Straße. Mehr kann ich derzeit nicht für Sie tun.« Halden schluckte ein Seufzen hinunter. Mit der Zeit wurde es immer ermüdender, pausenlos die armen kleinen Leute beruhigen zu müssen. Wie ihn diese Rolle frustrierte! Manchmal wollte er sie einfach anbrüllen, dass sie endlich aufhören sollten mit dem ständigen Jammern. Dass sie mal für eine Woche seinen Job machen sollten – Leichen untersuchen, die drei Wochen lang in der brütenden Augusthitze geschmort hatten, einen Achtjährigen begutachten, der bei einem Drive-by-Shooting ein paar verirrte Kugeln abbekommen hatte – und dann nochmal gründlich überlegen, wie schwer ihre erbärmlichen Probleme tatsächlich wogen.
    Nach einer langen Pause sprach Mrs. Reed weiter. Ihre Stimme klang nervös. »Glauben Sie, dass er in den Fall verwickelt war?«
    »In den Shooting-Star-Raub?« Halden nahm seinen Füller in die Hand und ließ ihn zwischen den Fingern kreisen. Das grelle Deckenlicht blitzte golden auf der Kappe. »Warum fragen Sie?«
    »Ich dachte mir nur, dass die Einbrecher vielleicht nach dem Geld gesucht haben.«
    »Welchem Geld?«
    »Das Geld, das sie damals gestohlen haben. Oder?«
    »Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen.« Halden schaltete um in den Modus ›trauernde Angehörige‹. »Die Typen, die diesen Raub begangen haben, waren wirklich schwere Jungs. Die standen mit so einigen Leuten in Verbindung. Ganz egal, was in der Zeitung steht: Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass ausgerechnet Tuttle dabei war.«
    Sie hob an, um etwas zu sagen, hielt aber im letzten Moment inne. Als ob sie zunächst hätte widersprechen wollen und sich dann dagegen entschieden hätte. »Sie haben Recht.«
    »Mrs. Reed, wenn Sie sich nicht sicher fühlen, gehen Sie doch eine Zeit lang woandershin, zum Beispiel zu Ihrer Familie. Oder legen Sie sich einen Hund zu. Das ist der beste Rat, den ich Ihnen geben kann.«
    »Wir lassen gerade eine Alarmanlage installieren.«
    »Gut. Das ist eine gute Idee.« Halden warf einen Blick auf die Uhr. Zwanzig nach zwölf. Wenn er heute noch irgendwas schaffen wollte, musste er weniger Zeit mit pflegebedürftigen Bürgern und mehr Zeit auf der Straße verbringen. »Wenn ich sonst nichts für Sie tun kann …«
    »Nein.« Anna Reed verstand sofort. »Danke für Ihre Zeit. Sie lassen uns wissen, wenn Sie etwas herausgefunden haben, ja?«
    Halden versprach es feierlich und legte kopfschüttelnd auf. Zum zehnten Mal an diesem Vormittag blickte er auf das Foto seiner Blockhütte weit oben im Westen von Minocqua. Ursprünglich war sie als Jagdhütte gedacht gewesen, doch er war schon innerhalb der Stadtgrenzen oft genug auf der Jagd. Nein, wenn er seine neunundzwanzig Jahre und einen Tag hinter sich hatte, würde er das Schätzchen kaufen, statt es weiter zu mieten, und mit Sack und Pack nach oben ziehen – mit einem

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