Im Bann der Dunkelheit
Bobbys Verletzungen mit Mullbinden umwickelte, entdeckte ich neben der Tür zwischen der Küche und der Garage eine Schreibtafel mit Schlüsselbrett. Dort hingen mehrere Autoschlüssel. Sasha würde doch keinen Wagen kurzschließen müssen.
In der Garage standen ein roter Jaguar und ein weißer Ford Expedition.
Im Schein der Taschenlampe klappte ich die Rücksitze des Expedition herunter, um den Stauraum zu vergrößern. Dort konnten Roosevelt und Bobby sich unterhalb Fensterhöhe niederlegen. Wenn Sasha allein unterwegs zu sein schien, zog sie vielleicht weniger Aufmerksamkeit auf sich als eine ganze Gruppe. Sasha würde fahren, weil nur sie genau wußte, wo an der Haddenbeck Road unser Ziel lag.
Als Bobby mit Sasha und Roosevelt die Garage betrat, trug er wieder Pullover und Hawaiihemd, bewegte sich aber etwas steif.
»Kommt ihr hier hinten zurecht?« fragte ich und deutete auf das Heck des Wagens.
»Ich werde die Gelegenheit zu einem Nickerchen nutzen.«
Als ich mich auf dem Beifahrersitz in der klassischen Nurnichtgesehenwerden-Pose zusammenkauerte, wurde ich mir schmerzlich jeder Quetschung vom Scheitel bis zur Sohle bewußt. Aber ich war immerhin am Leben. Noch vor kurzem war ich mir gar nicht so sicher gewesen, daß wir alle das Stanwyk-Haus mit schlagenden Herzen und aktiven Gehirnen verlassen würden, aber ich hatte mich getäuscht. Was die Prophezeiung von Katastrophen betraf, so mochten vielleicht Katzen Dinge wissen, aber Christopher Snows Ahnungen waren nicht unbedingt zuverlässig - was mich offen gesagt beruhigte.
Als Sasha den Motor anließ, stieg Rumpelmauser auf die Konsole zwischen den Vordersitzen. Er saß aufrecht mit gespitzten Ohren und voller Erwartung da und sah auf diese Weise aus, als hätte sich eine zu groß geratene Kühlerfigur ins Wageninnere verirrt.
Sasha benutzte eine Fernbedienung, um die elektrische Garagentür zu öffnen.
»Alles in Ordnung mit dir?« sagte ich zu ihr.
»Nein.«
»Gut.«
Ich wußte, daß sie keine körperlichen Verletzungen davongetragen hatte, also konnte sich die Antwort nur auf ihre emotionale Verfassung beziehen. Indem sie Tom Eliot tötete, hatte sie das einzig Richtige getan und dadurch vielleicht einem oder mehreren von uns das Leben gerettet. Gleichzeitig hatte sie den Priester vor einer schrecklichen Raserei der Selbstzerstörung bewahrt. Dennoch schienen die drei Schüsse ihr einen schweren Schlag versetzt zu haben; und nun lebte sie mit einer drückenden Last der moralischen Verantwortung. Schuldgefühle waren es vermutlich nicht. Sie war intelligent genug, um zu wissen, daß mit dem, was sie getan hatte, keine Schuld verbunden war. Aber sie wußte auch, daß selbst moralisch korrekte Taten Dimensionen erhalten können, die dem Geist und dem Herzen tiefe Wunden zufügen. Wenn sie meine Frage mit einem Lächeln und, der Versicherung, ihr gehe es gut, beantwortet hätte, wäre sie nicht die Sasha Goodall gewesen, die ich liebe, und ich hätte Grund zu der Annahme gehabt, daß sie sich im Werden befand.
Wir fuhren schweigend durch Moonlight Bay, während wir alle unseren eigenen Gedanken nachhingen.
Nach einigen Kilometern Fahrt verlor der Kater das Interesse am Ausblick durch die Windschutzscheibe. Es verblüffte mich, daß er mir auf die Brust stieg und in die Augen starrte.
Seine grünen Augen blickten konzentriert und unerschütterlich, und ich erwiderte den Blick eine unheimlich lange Zeit, während ich mich fragte, was er wohl dachte.
Sein Denken muß sich radikal von unserem unterscheiden, auch wenn er ein ähnlich hohes Intelligenzniveau wie wir erreicht hat. Er erfährt diese Welt aus einer Perspektive, die kaum mit unserer zu vergleichen ist, ähnlich wie bei einem Wesen, das auf einem fremden Planeten aufgewachsen ist. Er beginnt jeden Tag ohne das schwere Marschgepäck der menschlichen Geschichte und Philosophie, ohne die Triumphe und Tragödien, ohne die hehren Absichten und die Dummheiten, ohne Gier, Neid und Hybris; es muß ein befreiendes Gefühl sein, ohne diese Last zu leben. Er ist sowohl wild als auch zivilisiert. Er steht der Natur näher als wir und macht sich deshalb weniger Illusionen darüber; er weiß, daß das Leben hart ist, daß die Natur wunderschön, aber eiskalt ist. Auch wenn nach Roosevelts Angaben noch weitere Katzen aus Rumpelmausers Stamm aus Wyvern entflohen sind, kann ihre Anzahl nicht besonders groß sein.
Obwohl also Rumpelmauser kein so einzigartiges Exemplar wie Orson zu sein scheint, und obwohl
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