Im Bann der Dunkelheit
verlassen.
Soweit ich mich erinnere, sagte niemand von uns ein Wort, bis wir alle wieder nach unten gegangen und uns in der Küche eingefunden hatten, wo im Licht der Öllampe die Katze bereits in würdevoller Pose auf uns wartete. Vielleicht sagten wir einfach nur nichts Behaltenswertes, obwohl ich glaube, daß wir uns tatsächlich in betroffenem Schweigen durch das Haus bewegten.
Bobby zog sich seinen schwarzen Baumwollpullover und das Hawaiihemd aus. Beides war mit Blut getränkt. An seiner rechten Körperseite waren vier Schnittwunden, die ihm durch die teratoide Hand des Geistlichen zugefügt worden waren.
Teratoid war ein nützlicher Begriff aus der Welt der Genetik, den ich von meiner Mutter gelernt habe. Er bedeutet soviel wie mißgebildet und dient zur Beschreibung eines Organismus oder des Teils eines Organismus, der aufgrund genetischer Schäden deformiert ist. Als Kind habe ich mich immer sehr für die Forschungen und Theorien meiner Mutter interessiert, weil sie, wie sie es auszudrücken pflegte, im Uhrwerk der Natur nach Gott suchte, was meiner Ansicht nach die bedeutendste Arbeit überhaupt war, die jemand tun konnte.
Aber Gott findet offenbar Gefallen daran, wie wir uns allein mit uns selbst herumschlagen, und macht es uns nicht leicht, ihn auf dieser Seite des Todes zu finden. Und wenn wir dann einmal glauben, wir hätten endlich die Tür gefunden, hinter der er wartet, stoßen wir dahinter nicht etwa auf etwas Göttliches, sondern nur auf etwas Teratoides.
Im kleinen Bad neben der Küche fand Sasha Erste-Hilfe-Sachen und eine Packung Aspirin. Bobby stand an der Spüle und benutzte ein frisches Geschirrtuch und Flüssigseife, um seine Wunden zu reinigen, wobei er zischend die Luft durch die Zähne einsog.
»Tut.s weh?« fragte ich.
»Nein.«
»Unsinn.«
»Und du?«
»Nur blaue Flecken.«
Die vier Schnitte waren nicht tief, aber sie bluteten heftig.
Roosevelt ließ sich auf einen der Stühle am Tisch sinken. Er hatte sich Eiswürfel aus dem Gefrierschrank geholt und sie in ein Geschirrtuch gewickelt. Diese Kompresse drückte er sich auf das linke Auge, das fast ganz zugeschwollen war. Zum Glück war die Vase nicht zerbrochen, als sie ihn getroffen hatte, denn in diesem Fall wären ihm vielleicht Porzellansplitter ins Auge gedrungen.
»Schlimm?« fragte ich.
»War schon schlimmer.«
»Beim Football?«
»Alex Karras.«
»Toller Spieler.«
»Ein Mordskerl.« »Hat der Sie mal umgerannt?«
»Mehr als einmal.«
»Bestimmt wie 'ne Dampfwalze«, sagte ich.
»Wie ein Dreißigtonner. Und das hier war nur eine verdammte Vase.«
Sasha tränkte ein Tuch mit Wasserstoffperoxid und preßte es wiederholt auf Bobbys Wunden. Jedesmal, wenn sie das Tuch fortnahm, quoll eifrig neuer blutiger Schlamm aus den Schnitten.
Ich spürte am ganzen Körper Schmerzen, als hätte ich die vergangenen sechs Stunden im Trockner einer Großwäscherei verbracht.
Ich nahm zwei Aspirin und spülte sie mit ein paar Schlucken Orangenlimonade runter, die ich im Kühlschrank der Stanwyks gefunden hatte. Die Dose zitterte so heftig, daß ich mehr über Kinn und Kleidung verschüttete, als mir zu trinken gelang - was darauf hindeutete, daß meine Eltern eine Fehlentscheidung getroffen haben, als sie mir im Alter von fünf Jahren erlaubten, auf ein Lätzchen zu verzichten.
Nachdem Sasha mehrmals das Peroxid aufgetragen hatte, setzte sie die Behandlung mit Alkohol fort. Bobby hatte es aufgegeben, bei jedem Tupfen zu zischen, und knirschte statt dessen nur noch mit den Zähnen. Als er schließlich genügend Zahnmaterial abgeschliffen hatte, um künftig eine Schnabeltasse zur Ernährung zu benötigen, beschmierte Sasha die immer noch nässenden Wunden mit Betaisodona.
Diese ausgiebige Erste Hilfe fand ohne jeden Kommentar statt. Wir alle wußten, warum es nötig war, so viele antibakterielle Wirkstoffe wie möglich auf seine Wunden aufzutragen, und wenn darüber gesprochen worden wäre, hätten wir uns nur vor Angst in die Hose gemacht.
In den kommenden Wochen und Monaten würde Bobby viel mehr Zeit als gewöhnlich vor einem Spiegel verbringen, um sich zu begutachten, allerdings nicht, weil er plötzlich übertrieben eitel geworden wäre. Zudem würde er sich intensiver mit seinen Händen beschäftigen und nach Anzeichen Ausschau halten... nach teratoiden Anzeichen.
Roosevelts Auge war inzwischen zu einem engen Schlitz zugeschwollen. Trotzdem glaubte er weiterhin an die heilende Wirkung des Eises.
Während Sasha
Weitere Kostenlose Bücher