Im Bann der Dunkelheit
Kuß handelt, also gab ich meine ohnehin unwirksam gewordene Umklammerung auf. Der Priester warf mich ab, und ich krabbelte von ihm weg.
Father Tom richtete sich zu voller Lebensgröße auf und wirkte auf einmal viel weniger klein als zuvor. Wahrscheinlich handelte es sich dabei nur um eine Illusion. Sein dämonischer Zorn hatte eine solche Intensität erreicht, eine solch lodernde Kraft, daß ich damit rechnete, gleich elektrische Funken von ihm zu einem metallischen Objekt in seiner Nähe überspringen zu sehen. Die Raserei ließ ihn größer erscheinen. Sein strahlender gelber Blick wirkte heller als ein bloßes Augenleuchten. Es sah so aus, als wäre in seinem Schädel nicht nur ein neues Geschöpf im Werden, sondern als würde dort das elementare nukleare Feuer eines gesamten Universums geboren. Ich zog mich weiter von ihm zurück, schnappte nach Luft und fummelte in meinem Unverstand nach der Waffe, die Manuel mir abgenommen hatte.
Sasha hielt ein Kissen vor sich, das sie offenbar einem der Selbstmörder unter dem Kopf weggezogen hatte. Dieser Anblick war genauso verrückt wie alles andere, was in diesem Raum geschah. Sie sah aus, als hätte sie die Absicht, Father Tom zu ersticken oder ihm mit einem Sack voll Gänsedaunen Vernunft einzuprügeln. Als sie ihm dann aber befahl, abzulassen und sich zu setzen, verstand ich, daß sie das Kissen um ihre .38er Chiefs Special gewickelt hatte, um den Schußlärm zu dämpfen, falls sie gezwungen war, den Revolver zu benutzen. Immerhin befand sich das Schlafzimmer auf der Vorderseite des Hauses, wo man den Lärm vielleicht bis zur Straße hören konnte.
Es bestand kein Zweifel daran, daß der Priester nicht die Absicht hatte, auf Sasha zu hören. Möglicherweise konnte er zu diesem Zeitpunkt auch auf gar nichts anderes mehr hören als auf das, was sich in ihm tat, auf den mentalen Orkan, der mit seinem Werden einherging.
Er riß den Mund weit auf und fletschte die Zähne. Ein unnatürliches Kreischen kam ihm über die Lippen, dann ein zweites, das noch unheimlicher als das erste war. Dem folgte ein Schreien, Heulen und erbärmliches Stöhnen, was abwechselnd Schmerz und Vergnügen auszudrücken schien, Verzweiflung und Freude, blinde Wut und bittere Reue, als würden all diese unterschiedlichen Empfindungen in seinem gequälten Körper miteinander ringen.
Sasha erteilte Father Tom jetzt keine Befehle mehr, sondern flehte ihn richtig an. Vielleicht weil sie nicht dazu gezwungen sein wollte, die Waffe zu benutzen. Vielleicht weil sie befürchtete, daß sein wahnsinniges Geschrei auf die Straße dringen und dadurch unerwünschte Aufmerksamkeit auf uns lenken konnte. Sie flehte mit bebender Stimme, und die Tränen standen ihr in den Augen. Dennoch sah ich deutlich, daß sie tun würde, was notfalls getan werden mußte.
Der kreischende Priester hob die Arme, als wollte er den Herrn des Himmels anrufen, damit er auf uns alle herabfuhr. Er zitterte immer heftiger, wie jemand, der Opfer des Veitstanzes geworden war.
Bobby stand noch immer in der Ecke, wo Father Tom von ihm abgelassen hatte, und drückte beide Hände an die linke Seite, als wollte er den Blutfluß einer Wunde zurückhalten.
Roosevelt blockierte die Tür zum Korridor und hielt sich seine Hand an die Stelle, wo ihn die Vase im Gesicht getroffen hatte.
Wie ich ihren Mienen entnehmen konnte, war ich nicht der einzige, der daran glaubte, daß der Priester sich auf eine Explosion vorbereitete, eine Explosion, deren Gewalt alles übertreffen würde, was wir bisher erlebt hatten. Ich rechnete nicht damit, daß sich Father Tom vor unseren Augen verwandeln würde - vom Monsignore zum Monster in nur einer Minute, wie ein außerirdischer Gewaltwandler aus einem Sciencefiction-Film, zur Hälfte Basilisk, zur Hälfte Spinne - und sich nun durch uns vier hindurchschlagen schnappen stechen beißen würde, um schließlich Rumpelmauser zu verschlingen, als wäre die arme Katze ein After Eight zum Nachtisch. Es war unmöglich, daß Fleisch und Knochen so schnell wie Popcorn in der Mikrowelle transformiert werden konnten.
Andererseits hätte mich eine solche phantastische Metamorphose vom Geistlichen zum Greueltier zu diesem Zeitpunkt sicher nicht mehr sonderlich überrascht.
Dennoch überraschte mich der Priester, überraschte uns alle damit, daß er auf einmal seinen Zorn gegen sich selbst wandte. Rückblickend muß ich sagen, daß mich das alles an die Vögel, die Veve-Ratten und Manuels Worte über die psychische
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