Im Bann der Dunkelheit
Konfrontation zu einem Händeschütteln und gegenseitigem Respekt führen wird, wenn schon nicht zu einer Umarmung und Einladung zum Abendessen.
Der Mann schwang unbeirrt die Latte. Ich duckte mich und schlüpfte zur Seite.
Der Prügel knallte so hart gegen die Wand, daß ich fast die tiefen Vibrationen hören konnte, die durch das lange Holzstück summten. Die Latte fiel dem Mann aus den taub geschlagenen Händen, und er fluchte wütend.
Zu schade, daß es keine Eisenstange gewesen war. Der Rückstoß wäre vielleicht so heftig gewesen, daß sich ein paar seiner weißen Milchzähne gelockert hätten und er nach Mama geschrien hätte.
»Schluß jetzt, das reicht«, sagte ich.
Er machte eine obszöne Geste, bog die starken Arme, riß die Latte vom Boden hoch und drang wieder auf mich ein. Er schien nur wenig oder vielleicht sogar überhaupt keine Angst vor der Waffe zu haben, wahrscheinlich deshalb, weil mein kläglicher Warnschuß ihn überzeugt hatte, daß ich zu feige war, ihn einfach wegzuputzen. Er hatte mich bisher nicht als besonders intelligenter Mitmensch beeindrucken können, und dumme Leute sind ja oft auf gefährliche Art und Weise von sich selbst überzeugt.
Seine Körpersprache, der verschlagene Blick in den Augen und ein plötzliches Schnauben verrieten mir, daß er auf eine Finte zurückgreifen und einen neuen Schlag mit der Latte zwar antäuschen, aber nicht durchziehen würde. Wenn ich dann auf das Täuschungsmanöver reagierte, würde er mich irgendwie anders angreifen. Vielleicht würde er mir die Latte einfach wie eine Pike gegen die Brust treiben, mich dadurch zu Boden stoßen und mir dann das Gesicht eintreten.
Auch wenn ich mich gern für einen Renaissance-Menschen halte, würden Überzeugungskraft und Verhandlungsgeschick in der jetzigen Situation wohl keine Früchte tragen, und ich stelle mich mir verständlicherweise nur ungern als toten Renaissance-Menschen vor. Als er schließlich zu der Finte ansetzte, wartete ich also nicht erst ab, wie der wirkliche Angriffsplan des Arschlochs aussah. Mit Entschuldigungen, die ich an die Dichter, Diplomaten und alle sanften Menschen dieser Welt schickte, drückte ich ab.
Ich wollte ihn lediglich an der Schulter oder am Arm treffen, auch wenn ich der Ansicht bin, daß es nur in Filmen klappt, einen Menschen beim Schußwechsel nicht zu töten, sondern nur zu verletzen. Im richtigen Leben versauen einem Panik, Physik und das Schicksal die ganze Chose. Ich konnte mir durchaus vorstellen, daß trotz bester Absichten der höfliche Schuß, der nur verwunden sollte, meistens doch das Gehirn des Typen durchschlug oder von seinen Rippen oder dem Brustbein abprallte, um dann mitten im Herzen zu landen - oder eine harmlose Oma umbrachte, die sechs Häuserblocks weiter gerade Plätzchen in den Ofen schob.
Diesmal feuerte ich also keinen Warnschuß ab, verfehlte aber trotzdem die Schulter des Gegners, den Arm, das Herz, das Gehirn und überhaupt alles, was bluten konnte. Panik, Physik, Schicksal. Die Kugel bohrte sich schlicht in die Latte, und nur ein paar Splitter und gröbere Holzstückchen spritzten ins Gesicht des Burschen.
Plötzlich schien das Rattengesicht zu begreifen, daß es sterblich war, und erkannte vielleicht auch, wie gefährlich es war, einem so schlechten Schützen wie mir gegenüberzustehen. Es warf den behelfsmäßigen Knüppel nach mir, drehte sich um und lief in Richtung Fahrstuhlschacht.
Als mir klar wurde, daß der Typ die Latte nach mir werfen würde, machte ich einen Satz, aber mein Vorrat an wirklich guten Bewegungen war erschöpft. Anstatt mich einfach abzuwenden und zu ducken, sprang ich klugerweise genau in die Latte hinein. Sie schlug mir gegen die Brust, und ich ging zu Boden.
Ich rappelte mich sofort wieder auf, aber als ich endlich wieder auf den Füßen war, hatte sich der Angreifer schon dem Ende des Gangs genähert. Ich hatte zwar längere Beine als er, doch so einfach würde ich ihn nicht einholen können.
Wenn man jemanden sucht, der einem anderen einfach so in den Rücken schießt, bin ich nicht der richtige Mann, ganz gleich, unter welchen Umständen. Mein Angreifer bog also unbehelligt um die Ecke zum Fahrstuhlschacht - und schaltete dort seine Taschenlampe ein.
Obwohl ich diesen Fiesling eigentlich unbedingt hätte festnehmen müssen, war es wichtiger, Jimmy Wing zu finden. Vielleicht war der Junge verletzt und lag jetzt irgendwo im Sterben.
Außerdem erwartete den Kidnapper ja sowieso noch eine Überraschung
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