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Im Bann der Dunkelheit

Im Bann der Dunkelheit

Titel: Im Bann der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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keines.
    »Orson!«
    Ein Echo kräuselte sich über die Wellblechwände. Die mehrfache Wiederholung der beiden Silben erinnerte mich an den hohlen Klang einer fernen Kirchturmglocke, was mich wiederum an Beerdigungen denken ließ, und vor meinem geistigen Auge entstand das lebhafte Bild des tapferen Orson, wie er übel zugerichtet und mit gebrochenen Knochen dalag, die glasigen Augen schon vom Tod gezeichnet.
    Die Angst schnürte mir die Kehle zu und ließ meine Zunge dermaßen anschwellen, daß ich kaum schlucken konnte.
    Die Tür, durch die wir das Gebäude betreten hatten, stand genauso weit offen, wie wir sie zurückgelassen hatten.
    Draußen war der schlafende Mond im Westen weiterhin in Wolkenbetten versunken. Nur vereinzelte Sterne erhellten den Himmel.
    Die kühle Luft rührte sich nicht und war so unheilschwanger, daß man glaubte, die über einem schwebende Klinge der Guillotine würde gleich lossausen.
    Der Strahl der Taschenlampe beleuchtete auf dem Boden einen vergessenen Steckschlüssel, der schon so lange dort zu liegen schien, daß er vom Ratschengriff bis zum Kopfende rostig war. Eine leere Öldose wartete auf einen Windhauch, der stark genug war, um sie irgendwo anders hinzurollen. Irgendein Unkraut schaute aus einem Riß im Asphalt empor, wobei die winzigen gelben Blüten sich trotzig aus dem ungastlichen Kompost reckten.
    Ansonsten war der Zufahrtsweg leer. Kein Mensch, kein Hund.
    Was auch immer vor mir liegen mochte, ich würde mich weitaus effektiver damit befassen können, wenn ich meine volle Nachtsicht wieder zurückbekam. Ich schaltete also die Taschenlampe aus und schob sie unter den Gürtel. »Orson!«
    Daß ich aus vollem Hals rief, war jetzt egal. Immerhin wußte der Mann, dem ich unter dem Lagerhaus begegnet war, bereits, wo ich war. »Orson!«
    Möglicherweise war der Hund, schon kurz nachdem ich ihn zurückgelassen hatte, abgehauen. Vielleicht war er zur Überzeugung gelangt, daß wir der falschen Spur gefolgt waren. Vielleicht hatte er eine frische Fährte von Jimmy aufgenommen und daraufhin abwägen müssen, was wichtiger war: meine Anweisung zu befolgen oder das entführte Kind so schnell wie möglich zu finden. Vielleicht hatte er also das Lagerhaus verlassen und die Jagd wieder aufgenommen.
    Vielleicht war er ja jetzt bei dem Jungen, bereit, sich dem Entführer entgegenzustellen, wenn der Fiesling auftauchte, um seinen Gefangenen zu holen.
    Für einen miesen kleinen Philosophen, der ständig selbstgefällige Moralpredigten über die Gefahr herunterleierte, zuviel gefühlsmäßiges Kapital in bloße Hoffnung zu investieren, machte ich mir verdammt viel Mühe, eine weitere dieser Spinnwebenbrücken zu errichten.
    Ich atmete tief ein, aber noch bevor ich erneut zu einem Ruf ansetzte, bellte Orson zweimal.
    Zumindest vermutete ich, daß es Orson war. Es hätte genausogut der Hund von Baskerville sein können. Ich konnte leider nicht feststellen, aus welcher Richtung das Geräusch gekommen war.
    Also rief ich noch einmal nach Orson.
    Keine Antwort.
    »Geduld«, riet ich mir.
    Ich wartete. Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als zu warten. Eigentlich sogar meistens. Wir gehen gern davon aus, daß wir es sind, die den Webstuhl bedienen, der die Zukunft webt, aber der einzige Fuß auf der Tretkurbel ist der des Schicksals.
    In der Ferne bellte wieder der gleiche Hund, diesmal richtig aufgebracht.
    Ich glaubte zu erkennen, woher das Geräusch kam, und lief darauf zu, von einem Zufahrtsweg zum anderen, von einem Schatten zum anderen, zwischen verlassenen Lagerhäusern einher, die sich vor dem Hintergrund so massiv und schwarz und kalt abzeichneten wie Tempel für die grausamen Götter längst vergessener Religionen, und dann auf eine breite gepflasterte Fläche, bei der es sich um einen Parkplatz gehandelt haben mochte oder um einen Sammelplatz für Lastwagen, die Fracht heranschafften.
    Ich war bereits eine beträchtliche Strecke gelaufen, hatte das Pflaster verlassen und bahnte mir jetzt den Weg durch kniehohes Gras, das nach den jüngsten Regenfällen sehr üppig sproß, als der Mond sich in seinem Bett aufrichtete. In dem Licht, das nun durch das aufgeworfene Wolken-Bettzeug fiel, sah ich Reihen niedriger Gebäude, die einen halben Kilometer entfernt lagen. Das waren die kleinen Häuser, in denen einst das Militärpersonal, das es vorgezogen hatte, auf dem Gelände des Stützpunkts zu wohnen, mitsamt ihren Familien gelebt hatte.
    Obwohl jetzt kein Bellen mehr zu hören war,

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