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Im Bann der Dunkelheit

Im Bann der Dunkelheit

Titel: Im Bann der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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mit dir machen, junger Mann?«
    »Einen Monat lang Fernsehverbot?«
    »Kook«, nannte er mich wieder. »Und wo in der T-Stadt?«
    »Wir treffen uns vor dem Kino.«
    Er kannte Wyvern nicht annähernd so gut wie ich, würde das Kino in dem Geschäftszentrum direkt neben den verlassenen Häusern aber problemlos finden. Als er als Teenager dem Strand, der inzwischen zu seinem Kloster geworden war, noch nicht so religiös ergeben war, hatte er immerhin eine Weile lang ein Verhältnis mit einer Soldatentochter gehabt, die bei ihren Eltern auf dem Stützpunkt wohnte.
    »Wir werden sie finden, Bruder«, sagte Bobby.
    Ich stand gefühlsmäßig auf einem gefährlichen Sims. Daß mein Leben in Gefahr war, kümmerte mich weniger, als man vielleicht annehmen mag, denn seit frühester Kindheit lebe ich mit einem Bewußtsein über meine Sterblichkeit, das sowohl akuter als auch chronischer ist als das der meisten anderen Menschen. Aber der Verlust von jemandem, den ich liebe, macht mich völlig fertig. Trauer ist schärfer als die Werkzeuge eines jeden Folterers, und selbst die bloße Möglichkeit solch eines Verlusts schien mir nun die Stimmbänder durchtrennt zu haben.
    »Bleib locker«, sagte Bobby.
    »Ich bin gerade ziemlich aufgelöst«, sagte ich stockend.
    »Das ist zu locker.«
    Er legte auf, und auch ich schaltete das Handy aus.
    Wieder flappten Schwingen durch die Luft, und Gefieder ließ die Blätter rascheln, als ein weiterer Vogel sich zu dem größer werdenden Schwarm in den oberen Zweigen des Baums setzte.
    Keiner der Vögel hatte bislang einen Laut von sich gegeben.
    Wenn der Ziegenmelker ausgelassen durch die Luft schießt und mit seinem scharfen Schnabel nach Insekten schnappt, ist sein Schrei ein unverkennbares Pientpientpient. Die Gesänge der Nachtigall sind überlange Vorführungen, bei denen sie abwechselnd hart und weich gepfiffene Töne zu bezaubernden Phrasen webt. Selbst eine Eule, die zumeist schweigsam ist, damit sie die Nagetiere, von denen sie lebt, nicht warnt, heult dann und wann auf, um sich an sich selbst zu erfreuen oder sich ihrer anhaltenden Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Eulen zu vergewissern.
    Die Stille der Vögel in dem Baum war unheimlich und beunruhigend, nicht etwa, weil ich annahm, sie würden sich sammeln, um mich dann in Stücke zu hacken und damit dem Film von Hitchcock zu huldigen, sondern weil die Stille mir allzusehr wie die kurze, aber tiefe Ruhe vorkam, die in der Natur oft auf einen Ausbruch plötzlicher Gewalt folgt. Wenn ein Kojote ein Kaninchen fängt und ihm das Rückgrat bricht oder ein Fuchs sich in eine Maus verbeißt und sie zu Tode schüttelt, läßt der Todesschrei der Beute, auch wenn er fast unhörbar ist, die unmittelbare Umgebung verstummen. Obwohl Mutter Natur wunderschön, großzügig und trostspendend sein kann, ist sie gleichzeitig auch blutdürstig. Der nie endende Holocaust, über den sie den Vorsitz hält, ist ein Aspekt von ihr, der nicht für Wandkalender fotografiert oder bei Diavorträgen von Heimatkundlern ausführlich erörtert wird. Jeder Bereich der Natur ist ein Schlachtfeld, und so verstummen im unmittelbaren Kielwasser der Gewalt ihre zahlreichen Kinder oft, entweder weil sie eine instinktive Ehrfurcht vor den Gesetzen der Natur haben, nach denen sie leben - oder weil sie an den mörderischen Charakter des alten Mädchens erinnert werden und nicht zum nächsten Objekt ihrer Aufmerksamkeit werden wollen. Dementsprechend erfüllten die stummen Vögel mich mit Besorgnis. Ich fragte mich irgendwie, ob sie Stille bewahrten, weil sie Zeugen eines Gemetzels gewesen waren - und ob das vergossene Blut das eines kleinen Jungen und eines Hundes gewesen war.
    Kein Pieps.
    Ich verließ den nächtlichen Schatten des Baums und suchte mir einen weniger nervenaufreibenden Ort, um einen weiteren Anruf zu tätigen. Abgesehen von den Vögeln, hatte ich auch weiterhin das Gefühl, nicht beobachtet zu werden.
    Trotzdem war mir plötzlich unbehaglich zumute, unter freiem Himmel zu verweilen.
    Die gefiederten Wächter verließen ihre Sitzstangen nicht, um mich zu verfolgen. Sie brachten nicht einmal die Blätter um sie herum zum Rascheln.
    Es war die reine Wahrheit gewesen, als ich meinte, ich würde nicht annehmen, daß sie Hitchcock nachahmen wollten; aber ich hatte die Möglichkeit auch nicht völlig ausgeschlossen. Schließlich kann in Wyvern - eigentlich in ganz Moonlight Bay - selbst ein eigentlich so harmloses Geschöpf wie eine Nachtigall mehr sein, als es

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