Im Bann der Dunkelheit
den Anschein hat, und gefährlicher als ein Tiger. Das Ende der Welt, wie wir sie kennen, nimmt vielleicht von den Eingeweiden eines Mauerseglers oder dem Blut einer winzigen Maus seinen Ausgang.
Als ich die Straße entlangging, war das Licht des wieder aufgewachten Mondes so hell, daß ich einen schwachen Schatten warf, der aber weder vor noch hinter mir ging, sondern dicht an meiner Seite blieb, als wollte er mich daran erinnern, daß mein vierbeiniger Bruder, der normalerweise diese Stelle einnahm, noch immer verschwunden war.
6
Die Hälfte der Häuschen und Bungalows in der Totenstadt besitzen lediglich einen kleinen offenen Vorbau. Der Bungalow, dem ich mich jetzt näherte, gehörte zur anderen Hälfte.
Bei ihm führte eine Ziegeltreppe auf die überdachte Veranda vor dem Haus.
Eine Spinne hatte ein Netz zwischen den Stützpfeilern gebaut, die die oberste Stufe flankierten. Ich konnte dieses Gebilde im Dunkeln zwar nicht sehen, aber es handelte sich offenbar nicht um das Heim einer mutierten Riesenspinne, denn die seidenfädigen Speichen und Spiralen waren so zerbrechlich, daß sie sich ohne Widerstand um mich herum auflösten. Einige der fein gesponnenen Fäden blieben an meinem Gesicht kleben. Ich wischte sie mit einer Hand weg, während ich die Veranda überquerte, und machte mir dabei nicht mehr Gedanken über die Zerstörungen, die ich hervorgerufen hatte, als Godzilla sich den Kopf über die niedergerissenen Wolkenkratzer zerbricht, die er in seinem Kielwasser zurückläßt.
Obwohl die Ereignisse der letzten Wochen mir einen neuen und grundlegenden Respekt vor vielen Tieren eingeflößt hatten, mit denen wir unsere Welt teilen, werde ich niemals etwas mit Pantheismus anfangen können. Pantheisten betrachten alle Lebensformen, selbst Spinnen und Fliegen, mit Ehrfurcht. Ich dagegen kann die Tatsache nicht abtun, daß Spinnen und Fliegen - ebenso wie Käfer und Würmer und sich windende Geschöpfe im allgemeinen - sich von mir ernähren werden, sollte ich einmal tot sein. Ich fühle mich nicht gezwungen, irgendein Geschöpf, das mich als Hauptmahlzeit betrachtet, als Mitbürger dieses Planeten zu behandeln, der über die gleichen Rechte wie ich verfügt und es verdient, daß man ihm mit Höflichkeit begegnet. Ich bin zuversichtlich, daß Mutter Natur meine Auffassung versteht und sich nicht etwa beleidigt fühlt. Die Haustür, deren abbröckelnde Farbe im Mondlicht leicht phosphoreszierte, stand weit offen. Die verrosteten Scharniere quietschten nicht, sondern knarrten wie die trockenen Knöchel eines Skeletts, das die Hand zur Faust ballt.
Ich ging hinein.
Da ich ausdrücklich hierhergekommen war, weil ich mich unter einem Dach sicherer fühlte als im Freien, überlegte ich, ob ich die Tür nicht schließen sollte. Die Vögel könnten ja ihre unheimliche Erstarrung plötzlich abschütteln, um mir dann kreischend zu folgen.
Andererseits stellt eine offene Tür immer einen Fluchtweg dar. Ich ließ sie offenstehen.
Obwohl ich von samtener Schwärze eingehüllt wurde, die mir die Sicht so gründlich nahm wie eine Augenbinde, wußte ich, daß ich im Wohnzimmer stand, weil die Hunderte der hiesigen Bungalows, die über Veranden verfügen, alle nach genau demselben Grundriß errichtet worden sind, der keinerlei Eingangsdiele aufweist. Wohnzimmer, Eßzimmer, Küche, Schlafzimmer, Kinderzimmer.
Auch in gepflegtem Zustand hatten diese bescheidenen Heime den zumeist jungen Soldatenfamilien, die einst hier lebten, nur minimalen Komfort geboten. Die meisten Familien hatten sowieso nur kurze Zeit hier gewohnt, bevor sie wieder versetzt wurden. Inzwischen riecht es in den Häusern nach Staub, Schimmel, Trockenfäule und Mäusen.
Die Böden bestehen aus billigen Dielenbrettern, die mit dicken Farbschichten bedeckt sind. Nur in den kleinen Küchen hat man Linoleum ausgelegt. Selbst ein selbsternannter Meister der Verstohlenheit wie meine Wenigkeit kann hier ein Knarren beim Gehen nicht vermeiden.
Die losen Bretter bereiteten mir aber nicht weiter Kopfzerbrechen. Sie gewährleisteten immerhin, daß niemand unbemerkt durch die Hintertür eindringen und sich anschleichen konnte.
Meine Augen hatten sich so weit an das Dunkel angepaßt, daß ich die vorderen beiden Fenster ausmachen konnte. Obwohl sie vom Verandadach überragt wurden, konnte man sie selbst im indirekten Mondlicht erkennen: aschgraue Rechtecke in der ansonsten allumfassenden Schwärze.
Ich ging zum näher gelegenen Fenster, das wie das andere nicht
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