Im Bann der Dunkelheit
eine Hauptrolle in einem Disney-Zeichentrickfilm einbringen würde, ist Doogies zuverlässiger Erfolg bei atemberaubend umwerfenden Wahines - den Surfmädels, die man normalerweise nicht allein mit persönlicher Ausstrahlung gewinnen kann - laut Bobby eines der größten Geheimnisse aller Zeiten, vergleichbar nur mit zwei anderen: warum die Dinosaurier ausgestorben sind und warum Tornados immer Wohnwagensiedlungen heimsuchen.
»Kannst du nicht für ein paar Stunden ein Band auflegen«, sagte ich, »und Doogie die Sendung von seinem Mischpult aus schmeißen lassen?«
»Bist du auf einen Quickie aus?«
»Mit dir würde ich es lieber ewig treiben.«
»Du Romantiker«, sagte sie sarkastisch, aber mit unverhohlener Freude.
»Da ist eine unserer Freundinnen, der wir ganz dringend das Händchen halten müssen.« Sashas Tonfall wurde ernst. »Um was geht.s?«
Da die Möglichkeit bestand, daß das Gespräch aufgezeichnet wurde, konnte ich ihr die Situation nicht klar und deutlich auseinandersetzen. In Moonlight Bay leben wir in den Verhältnissen eines Polizeistaats, der so geschickt errichtet wurde, daß er praktisch unsichtbar ist. Falls uns jemand abhörte, wollte ich denjenigen nicht gerade mit der Nase darauf stoßen, daß Sasha sich zu Lilly Wing aufmachen sollte, denn dann würde man sie vielleicht aufhalten, noch bevor sie dort eintraf. Lilly brauchte dringend jemanden, der sich um sie kümmerte. Wenn Sasha allerdings überraschend dort vorbeischauen konnte, sozusagen durch die Hintertür, würden die Cops schon merken, daß man sie dort dann so schwer wieder wegbekam wie einen Angelhaken mit fünf Widerhaken. »Kennst du...« Ich glaubte, auf der Straße eine Bewegung zu sehen, aber als ich mit zusammengekniffenen Augen durch das Fenster schaute, war ich mir sicher, daß ich nur einen Mondschatten erblickt hatte, der vielleicht von einer Wolke, die zärtlich eine Wange des Mondgesichts gestreift hatte, verursacht worden war.
»Kennst du die dreizehn Möglichkeiten?«
»Dreizehn Möglichkeiten?«
»Die Sache mit der Amsel«, sagte ich und wischte wieder mit dem Papiertaschentuch auf der Scheibe herum. Durch meinen Atem war das Glas leicht beschlagen.
»Amsel. Klar.«
Wir sprachen über Wallace Stevens. Gedicht .Dreizehn Möglichkeiten, eine Amsel zu betrachten.. Mein Vater hatte sich Sorgen gemacht, wie ich mich, durch das XP gehandicapt, ohne Familie in der Welt behaupten wollte, und mir deshalb ein Haus ohne Hypothek und die Erträge einer hohen Lebensversicherung vermacht. Aber er hatte mir noch etwas Tröstliches hinterlassen: die Liebe für die moderne Lyrik. Da Sasha diese Leidenschaft von mir übernommen hatte, konnten wir mögliche Lauscher ähnlich verwirren, wie Bobby und ich das mit dem Surferslang versucht hatten. »Es gibt ein Wort, von dem man erwartet, daß er es benutzen wird«, sagte ich, womit ich noch immer Stevens meinte, »aber es taucht kein einziges Mal auf.«
»Ah, ja«, sagte sie, und ich wußte, daß sie mir folgen konnte.
Ein geringerer Dichter, der dreizehn Strophen über eine Amsel schrieb, hätte bestimmt mindestens einmal das Wort Schwinge oder Flügel - wing - benutzt, aber Stevens hatte nie darauf zurückgegriffen.
»Du weißt, wen ich meine?« fragte ich.
»Ja.« Sie wußte, daß Lilly Wing, früher Lilly Travis, meine erste große Liebe gewesen war - und daß sie mir das Herz gebrochen hatte.
Sasha ist die zweite Frau, die ich im tiefsten Sinne des Wortes liebe, und sie hat beteuert, daß sie mir nie das Herz brechen wird. Ich glaube ihr. Sie lügt nie.
Sasha hat mir auch versichert, sollte ich sie jemals betrügen, würde sie ihre Black & Decker nehmen und mir den Bohrer ins Herz jagen.
Ich habe die Schlagbohrmaschine gesehen. Die Bohrer - ein vollständiger Satz - liegen in einem Plastikkasten. Auf einen davon hat sie mitrotem Nagellack meinen Namen geschrieben: Chris. Ich bin mir ziemlich sicher, daß das nur ein Scherz sein sollte.
Sie muß sich außerdem keine Sorgen machen. Sollte ich ihr jemals das Herz brechen, würde ich mir das Ding selbst in die Brust rammen und ihr damit die Mühe ersparen, sich die Hände waschen zu müssen.
Ich bin wirklich ein Romantiker.
»Warum soll ich ihr das Händchen halten?« fragte Sasha.
»Das wirst du erfahren, wenn du dort bist.«
»Irgendeine Nachricht für sie?« fragte sie.
»Hoffnung. Das ist die Nachricht. Es gibt noch Hoffnung.«
Ich war nicht so zuversichtlich, wie ich vielleicht klang.
Möglicherweise
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