Im Bann der Gefuehle
gesprochen hatte? Ein Langzeitgeliebter oder vielleicht irgendein anderer Mann?
Ein stechender Schmerz bahnte sich seinen Weg durch Alessandros Magengrube. Fassungslos betrachtete er das Bild von Carys und ihrem Kind.
Erst jetzt erkannte er die Gefühle, die sein Nervensystem durchdrangen. Maßlose Wut. Eifersucht, weil sie sich auf einen anderen Mann eingelassen hatte. Carys gehörte ihm , ganz gleich, wie oder warum sie auseinandergegangen waren. Diese magische Leidenschaft zwischen ihnen war doch wohl Beweis genug. Dagegen verblasste jede andere Affäre, die sie vielleicht einmal gehabt hatte.
Alessandro war nach Australien gekommen, um sich Klarheit zu verschaffen. Doch letzte Nacht musste er feststellen, dass ihm Antworten allein nicht reichten. Er begehrte Carys und hatte keine Ahnung, wie lange dieses Begehren anhalten würde.
Sie jetzt mit dem Kind eines anderen Mannes in ihren Armen zu sehen, zerrte an seinen Nerven. Allein der Anblick hätte ihn schon von seinem Verlangen kurieren sollen. Stattdessen lechzte er danach, die Identität des Vaters festzustellen, um diesem mit bloßen Händen den Hals umzudrehen!
4. KAPITEL
Carys schlug ihren bodenlangen Mantel eng um sich, als sie das Hotel durch den Personaleingang verließ. Sie hatte ihn günstig in einem Secondhandladen erstanden, allerdings war er eine Nummer zu groß und blähte sich im kalten Wind von Melbourne weit auf. Sie fröstelte.
Es regnete Bindfäden, aber mit etwas Glück kam ihr Zug pünktlich, und Carys war zu einer einigermaßen zivilen Zeit zu Hause. Heute waren zwei ihrer Kolleginnen wieder bei der Arbeit erschienen, daher musste Carys endlich keine Überstunden mehr machen. Sie freute sich schon auf ein paar ruhige Stunden mit Leo, gefolgt von einer heißen Badewanne und einer langen Nacht in ihrem bequemen Bett.
Entschlossen ignorierte sie die Vorahnung, dass sie sich vermutlich nur eine weitere schlaflose Nacht unruhig zwischen ihren Kissen hin- und herwälzen würde. Tagsüber arbeitete sie wie ein Roboter, gefangen in einer Art Schockzustand. Carys hatte erwartet, dass Alessandro erneut auf sie zukommen würde. Immerhin wusste er doch genau, wo sie arbeitete, also warum ließ er sie in Ruhe?
Eine dunkle Ahnung trübte ihre Gedanken. Alessandro wartete auf den geeigneten Augenblick. Er war hinter Leo her – hinter ihrem geliebten Jungen. Warum sonst sollte er den ganzen Weg aus Italien nach Melbourne kommen?
Und ein Mann mit seinem Einfluss und seinen Möglichkeiten bekam grundsätzlich, was er wollte. Und wenn es sich um seinen leiblichen Sohn handelte …
Carys machte sich nichts vor. Sie selbst stand sicher nicht im Fokus seines Interesses, und gestern Abend hatte er lediglich die Gelegenheit gewittert, unkomplizierten Sex haben zu können. Wahrscheinlich fehlte ihm seine Ehefrau …
Zu ihrer Schande verspürte Carys bei diesem Gedanken einen unangenehmen Stich in der Magengegend. Sie hatte nicht einmal daran gedacht, dass Alessandro mit einer anderen Frau zusammen war. Sein unerwartetes Auftauchen hatte Carys in eine Zeit zurückkatapultiert, in der sie nur ihm gehörte – mit Leib und Seele. Und sie war davon ausgegangen, Alessandro würde allein ihr gehören, doch dann heiratete er seine blaublütige Erbin.
Als Carys sich auf die Unterlippe biss, schmeckte sie das Salz ihrer eigenen Tränen. Wie kurz war sie davor gewesen, etwas zu tun, das all ihre Prinzipien zunichte gemacht hätte? Heute Morgen hatte sie sich kaum im Spiegel ansehen können. Aber von Alessandro war sie mindestens ebenso enttäuscht wie von sich selbst. Hatte er sie doch als Gelegenheitsaffäre ausnutzen wollen, und das passte überhaupt nicht zu dem Ehrenmann, der er für Carys einmal gewesen war.
Sie straffte die Schultern und nahm sich vor, aus ihren eigenen Fehlern zu lernen.
Vor ihren Augen tauchten plötzlich perfekt polierte schwarze Herrenschuhe auf, und sie machte einen schnellen Schritt zur Seite, um dem Mann auszuweichen. Doch auch er bewegte sich nach rechts und zwang sie so, abrupt stehen zu bleiben.
Er war stattlich gebaut, trug dunkle Nadelstreifenhosen, ein schneeweißes Hemd mit schwarzer Krawatte und ein maßgeschneidertes Jackett. Dunkelhäutiges Gesicht, graumelierte Haare und ein goldener Ohrring – Carys war sicher, ihm schon einmal begegnet zu sein.
„ Scusi, signorina. Hier entlang, bitte!“
Er streckte einen muskulösen Arm aus und wies auf den Straßenrand. Dort stand eine schwarze Limousine mit getönten
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