Im Bann der Gefuehle
Scheiben, die Hintertür war geöffnet. Carys erkannte die langen, schlanken Männerbeine sofort.
Ihr Puls klopfte laut in ihren Ohren. Das Letzte, was sie wollte, war, mit Alessandro Mattani auf engstem Raum eingepfercht zu werden.
„Warum steigst du nicht ein, bevor ihr beide bis auf die Haut durchnässt seid?“, ertönte eine tiefe Stimme aus dem Wagen.
„Und wenn mir das lieber ist, als dir gegenüberzusitzen?“, konterte sie scharf.
„Dann würde ich das ziemlich selbstsüchtig finden, da du Bruno dazu zwingst, für deinen Stolz im kalten Regen stehen zu bleiben.“
Alessandro glaubte tatsächlich, es ging ihr lediglich um Stolz? Der Mann neben ihr hatte die Statur eines Rugbyspielers und drängte Carys nun sanft, aber bestimmt in Richtung des Autos. Sein Gesicht wirkte ausdruckslos bis finster.
„Per favore, signorina!“
Der Regen wurde allmählich stärker, trotzdem zuckte Bruno nicht einmal mit der Wimper, während ihm Rinnsale kalten Wassers in den Kragen liefen.
„Lass dich von seinem Äußeren nicht in die Irre führen, Carys“, gab Alessandro mit lakonischer Stimme Entwarnung. „Er ist ziemlich vorbelastet, was seine Atemwege angeht. Hat gerade erst eine hartnäckige Bronchitis überwunden, und ich möchte nicht, dass er einen Rückfall erleidet. Aber das möchtest du doch bestimmt nicht auf dem Gewissen haben?“
Sie blinzelte und schielte zu dem Chauffeur hoch. Lächelte er etwa? Nein, sie hatte sich getäuscht.
Alessandro streckte den Kopf halb aus dem Wagen heraus. „Seine Frau wird mich bei lebendigem Leibe in Stücke zerlegen, wenn ich ihn mit einer Lungenentzündung nach Hause bringe.“
Trotz ihrer Wut spürte Carys, wie ihre Mundwinkel zuckten. Vor langer Zeit war Alessandros trockener Humor eine der Eigenschaften gewesen, die sie an ihm so anziehend gefunden hatte. Nachdem ihre letzten Erinnerungen nur die traurigen, wortkargen Tage vor ihrer Trennung umfassten, hätte sie das beinahe vergessen.
„Ich hätte gedacht, Erpressung wäre eher dein Stil“, kommentierte sie ruhig. „Oder Drohungen. Stattdessen appellierst du an mein Gewissen?“
Regen tröpfelte ihr langsam in den Kragen, doch Carys blieb eisern neben der Limousine stehen. Dieser Mann war einfach zu gefährlich.
Alessandro zuckte ungerührt die Achseln und sagte etwas auf Italienisch, woraufhin Bruno ihr den Weg freigab. Gerade wollte Carys ihre Chance zur Flucht nutzen, als Alessandros seidenweiche Stimme sie buchstäblich lähmte.
„Ich bereue die letzte Nacht, Carys. Das war so nicht von mir geplant.“
Auf eine Antwort wartete er vergeblich, und nach einer Weile wurden Alessandros Augen schmal. Es war nicht zu übersehen, wie sehr ihn ihre Haltung ärgerte, doch er verlor kein einziges Wort darüber.
Wenn das eben eine Entschuldigung sein sollte, hat er noch eine Menge dazuzulernen, dachte Carys und hob stolz das Kinn.
„Wenn du es unbedingt darauf ankommen lassen möchtest“, bemerkte er plötzlich, und in seinen Augen blitzte es bedrohlich auf. „Das Hotelmanagement würde sich bestimmt brennend für die Aufzeichnungen der Sicherheitskameras aus der Lobby interessieren. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es ihnen recht ist, wenn sich eine Mitarbeiterin des Nachts höchstpersönlich um das leibliche Wohl der Gäste kümmert.“
„Das wagst du nicht!“, keuchte sie. Das Bild, wie sie in derangiertem Zustand die Präsidentensuite verließ, würde auf jeden Fall einen völlig falschen Eindruck vermitteln.
„Ach nein?“ Sein Blick blieb nervtötend gelassen. „Carys, es ist ganz egal, was du gemacht hast – die Beweise sprechen für sich.“ Zufrieden lehnte er sich zurück.
Beweise. Das klang so kühl und sachlich. Worauf hatte Alessandro es eigentlich abgesehen? Was bezweckte er mit seinem Schachzug?
Ich brauche diesen Job dringend, dachte sie mit klopfendem Herzen. Wie soll ich sonst für mein Kind aufkommen? Für eine unqualifizierte Kraft war es heutzutage nicht leicht, einen guten Arbeitsplatz zu finden.
Würde Alessandro seine Drohung tatsächlich wahr machen? Früher einmal hatte Carys geglaubt, diesen Mann gut zu kennen – hatte ihm vertraut und sogar gedacht, er hätte sich ernsthaft in sie verliebt. Wie naiv sie doch gewesen war!
Auf brutale Art und Weise hatte sie erfahren müssen, dass es mit ihrer Menschenkenntnis offenbar nicht weit her war. Ihm konnte man wirklich alles zutrauen, das durfte sie nicht vergessen. Alessandro war ihr erklärter Feind. Er bedrohte nicht nur
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