Im Bann der Gefuehle
wieder heraufzubeschwören. Carys wollte sich ausschließlich auf die Zukunft konzentrieren, um Leos willen.
„Es wird niemals vorbei sein, Carys“, widersprach Alessandro leise. „Wir beide haben ein Kind miteinander.“
Schnell verschränkte sie ihre zitternden Hände und atmete tief durch. „Aber das ist doch längst kein Grund zu heiraten. Du bekommst ein Besuchsrecht und kannst ihn aufwachsen sehen.“ Das war immerhin offizielles Recht eines leiblichen Vaters. Und sie würde die emotionale Belastung aushalten, damit Leo den anderen Teil seiner Herkunft nicht entbehren musste. Jedes Kind verdiente dieses Opfer.
„Besuchsrecht?“, wiederholte er entrüstet. „Meinst du, das ist es, was ich will? Was mein Sohn braucht?“
Mittlerweile stand Alessandro direkt vor ihr, und sie musste den Kopf leicht in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Seine kraftvolle Präsenz und seine Energie waren zum Greifen nahe.
„Du hast eine merkwürdige Vorstellung von der Vaterrolle. Ich habe bereits das erste Lebensjahr meines Sohnes verpasst, und ich will nicht, dass mir noch mehr entgeht.“ Sein Ton klang unerbittlich.
„Ich meinte doch nur …“
„Mir ist klar, was du meinst“, unterbrach er sie schroff. „Leo ist mein Sohn, mein Fleisch und Blut. Ich weigere mich, zum Teilzeitbesucher im Leben meines eigenen Kindes zu werden und am anderen Ende der Welt zu leben, während er groß wird.“
„Aber eine Heirat“, begann Carys erneut. „Das ist doch heller Wahnsinn!“
Seine Miene wurde starr und die Lippen schmal. „Ich nahm eben an, eine Ehe mit mir wäre dir lieber als die Alternative.“
„Die Alternative?“
„Ein Kampf um das alleinige Sorgerecht.“
6. KAPITEL
Würde sie es im Falle eines Falles wagen, gegen Alessandro und seinen Anwaltsstab vor Gericht zu ziehen? Natürlich ging sie davon aus, dass ihr als Mutter das Sorgerecht eingeräumt werden würde, aber ein Restzweifel blieb und wuchs in ihr stetig an. Sie dachte daran, in welch starkem Kontrast die heruntergekommene Gegend, in der sie momentan lebte, zu dem Vermögen und gesellschaftlichen Einfluss der Mattani-Familie stand.
Es gab so viele Wege und Möglichkeiten, wie Alessandro Carys schaden konnte, wenn er es darauf anlegte. Er konnte es sogar darauf ankommen lassen, Leo nach einem Besuch nicht zurückzubringen und ihn einfach in Italien zu behalten. Vielleicht sogar unterzutauchen.
Carys verfügte nicht über die Mittel, ihm nachzureisen und ihren Sohn einzufordern. Sie wäre ihm und seiner Gunst – zumindest für eine Weile – hilflos ausgeliefert. Wer wusste schon, wie lange es dauern konnte, bis sie zu ihrem Recht kam und die Anwälte sie wieder mit Leo zusammenführten?
Müde rieb sie sich die Schläfen. Das war der Stoff, aus dem Albträume gemacht wurden. Dabei hätte der Mann, in den sie sich damals verliebte, sie niemals auf diese Weise bedroht. Aber diesen Mann gab es schon lange nicht mehr. Alessandro erinnerte sich nicht an das Glück, das sie einst miteinander geteilt hatten. Für ihn war sie nichts weiter als eine Fremde, die hatte, was er wollte.
Wie gern hätte sie Leo in diesem Augenblick in den Armen gewiegt, ihn fest an sich gedrückt und vor den subtilen Angriffen seines Vaters beschützt.
„Ich möchte die Sache gern unter uns regeln, Carys. Das Familiengericht wäre tatsächlich nur die letzte Instanz, wenn alle anderen Einigungsversuche scheitern sollten.“
Soll ich dafür jetzt etwa dankbar sein?, überlegte Carys sarkastisch. „Wie beruhigend“, gab sie zurück. „Da fühle ich mich doch gleich um einiges besser.“ Sie gab einen abfälligen Laut von sich. „Du kommst in unser Leben gerauscht und erwartest, ja verlangst sogar, dass sich jeder auf deine Wünsche und Bedürfnisse einstellt. Als wüsstest du immer, was das Beste für jeden ist – wobei du natürlich an erster Stelle stehst. Aber dazu hast du kein Recht!“
„Ich habe alle Rechte eines leiblichen Vaters“, widersprach er hitzig und merkte ebenso wenig wie Carys, dass sie beide völlig aneinander vorbeiredeten. „Vergiss das nie, Carys! Du bist nicht länger die Einzige, die über die Erziehung unseres Sohnes bestimmt.“
Unseres Sohnes! Diese Worte wirkten auf Carys wie eine kalte Dusche.
„Ich biete dir eine Heirat an“, fuhr Alessandro unbeirrt fort. „Eine gesellschaftliche Stellung, Reichtum, ein unbeschwertes und sorgenfreies Leben. Und ein angemessenes Zuhause für Leo. Er wird mit beiden
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