Im Bann der Gefuehle
jetzt getroffen werden müssen. Denke gut über das nach, was ich gesagt habe, Carys! Ich bin bald zurück, und dann möchte ich deine Antwort hören.“ Kurz darauf war er verschwunden.
Eigentlich wollte Carys sich gar nicht erst darauf einlassen, die Papiere zu prüfen, aber irgendwie fühlte sie sich von dem Arbeitstisch magisch angezogen. Es interessierte sie, was Alessandro und sein Anwaltsteam dort ausgetüftelt hatten, auch wenn sie nicht wirklich in Betracht zog, ihn tatsächlich zu heiraten.
Oder doch? Ihr Magen flatterte leicht. Immerhin, noch waren die Würfel ja nicht gefallen, und es gab sicherlich Gründe, die für eine Heirat sprachen. Leider reichten diese aber nicht für eine lebenslange Beziehung aus, und Alessandro konnte Carys schließlich auch nicht zwingen, seinen Wünschen Folge zu leisten.
Er spekulierte darauf, dass ihm möglicherweise irgendein Richter das Sorgerecht zusprach – das war zwar höchst unwahrscheinlich und daher nicht viel mehr als ein dreister Bluff. Aber seinem entschlossenen Blick konnte man entnehmen, dass er einiges zu tun bereit war, um Leo in seine Nähe zu bekommen.
Wie hatte sie nur jemals hoffen können, Alessandro würde sich mit einer Teilvaterschaft und einer simplen Besuchsregelung zufriedengeben?
Mit steifen Fingern griff sie nach dem umfangreichen Vertrag und begann zu lesen. Bereits auf der dritten Seite geriet sie regelrecht in Panik. Sie hatte etwa zwanzig Minuten lang mit höchster Konzentration Paragrafen entziffert, und doch erschlossen sich ihr einige Teile des Textes nicht mal im Ansatz. Außerdem machte sich nach mehreren schlaflosen Nächten und stressigen Tagen ihre Erschöpfung deutlich bemerkbar.
Aber ihre angeborene Leseschwäche machte es ihr selbst an guten Tagen nahezu unmöglich, derart komplexe Texte zu erfassen. Und heute … Carys biss sich fest auf die Unterlippe und kämpfte gegen die Tränen der Verzweiflung an.
Leos Zukunft stand auf dem Spiel, und als seine Mutter und Erziehungsberechtigte besaß sie nicht einmal die Fähigkeiten, vernünftig für seine Sicherheit zu sorgen. Eine Schande, wie sie selbst fand.
Die vertraute Stimme in ihrem Hinterkopf nannte sie eine Versagerin, und Carys war geneigt, ihr zu glauben. Mit beiden Händen stützte sie sich auf der Tischplatte ab und schob ihren Stuhl zurück. Hier ging es schließlich nicht um Intelligenz und Begabungen. Carys litt unter einer Einschränkung, für die sie nichts konnte und die durch Müdigkeit und Stress noch verschlimmert wurde.
Zudem – und das fiel ihr erst jetzt auf – ging es in diesem Vertrag nicht direkt um Leo, sondern um ihre und Alessandros Rechte.
Eilig blätterte sie nach hinten und entdeckte einen kurzen Abschnitt, der besagte, sie würde im Falle einer Scheidung absolut keine finanziellen Zuwendungen erhalten. Carys war einigermaßen erleichtert. Also ging es Alessandro in erster Linie darum, sein Vermögen zu schützen!
Natürlich riet ihr die Vernunft, diesen Vertrag dennoch von einem Anwalt überprüfen zu lassen, bevor sie ihn unterschrieb. Aber Vernunft würde ihr auch diktieren, sofort die Flucht zu ergreifen und sich nicht auf eine Zweckehe einzulassen, nur weil sie ihren Sohn absichern wollte. Sie und Alessandro waren praktisch Fremde füreinander, nur war er derjenige mit Macht und Einfluss.
Andererseits ging es hierbei nicht um Carys, sondern um Leo, der ein Recht auf seine Eltern hatte. Und wenn die Möglichkeit bestand, ihm seinen Vater nahezubringen und gleichzeitig seine Zukunft zu sichern, war es Carys’ Pflicht als Mutter, alles dafür zu tun. Außerdem konnte sie sich gar keinen Anwalt leisten, der den Vertrag prüfte, aber das machte nichts. Die Entscheidung war gefallen.
Mit bleischwerer Hand griff Carys nach dem teuren Füllfederhalter, den Alessandro ihr dagelassen hatte, und blätterte zur letzten Seite des Vertrags. Carys Antoinette Wells. Ein solch pompöses Dokument verdiente ihren vollen Namen. Doch anstelle ihrer gewohnten, großzügig geschwungenen Unterschrift wirkten die Buchstaben wie das Gekritzel eines unerfahrenen Teenagers, so stark zitterten ihre Hände. Ergeben ließ sie den Stift fallen und schloss die Augen.
Ein gedämpfter Laut erregte Alessandros Aufmerksamkeit, und er hob den Kopf, froh darüber, von der unliebsamen Schreibarbeit abgelenkt zu werden. In den letzten Tagen fiel es ihm unendlich schwer, sich auf seine Geschäfte zu konzentrieren. Immerhin hatte er gerade erst herausgefunden, dass er Vater
Weitere Kostenlose Bücher