Im Bann Der Herzen
könnte.«
»Tja, ich auch«, musste Constance zugeben.
Kaum hatte Chastity den Brief fertig getippt, lehnte sie sich auf ihrem harten Bürostuhl mit steifem Hals zurück. Mit der Schreibmaschine ging es schneller als mit der Hand, doch war es die physisch schwerere Arbeit. Vielleicht würde das Tippen sie nicht mehr so anstrengen, wenn sie mehr Übung hatte.
Sie brauchte eine Pause, und der Spaziergang zur Haltestelle war willkommene Bewegung. Sie marschierte flott dahin, in einen Schal gehüllt, den Filzhut tief über die Ohren gezogen, die behandschuhten Hände in den Taschen. Neuerdings erlaubte sie sich nicht nachzudenken, zumindest nicht über Dinge, die nicht The May fair Lady oder die fortschreitende Beziehung ihres Vaters mit der Contessa betrafen. Nur nachts wurde sie von Verlangen und Reue geplagt, und sie wusste nicht, was sie gegen diese Anwandlungen tun sollte.
In der Kensington High Street stieg sie aus und steuerte zielsicher Mrs. Beedles Laden an. Unwillkürlich musterte sie dabei alle Passanten und fragte sich, ob sie Douglas entdecken würde. Aber natürlich hatte er keinen Grund, jetzt in dieser Gegend zu sein. Seine Slum-Praxis war ein Stück weiter, und seine Wohnung lag im oberen Teil der Wimpole Street.
»Ach, lange nicht mehr gesehen, Miss Chas«, begrüßte Mrs. Beedle sie lächelnd. »Alles Gute im neuen Jahr. Wie war Weihnachten?«
»Sehr schön, danke, Mrs. Beedle. Sehr schön«, sagte Chastity, die selbst spürte, wie lau sich das anhörte. »Kalt und verschneit«, setzte sie hinzu und bemühte sich, in ihren Ton Begeisterung einfließen zu lassen. »Sarah hat es riesig gefallen.«
»Ach, das ist wunderbar«, entgegnete die Ladenbesitzerin aufmunternd. »Wie gut, dass die Kleine endlich richtige Weihnachten hatte. Post für Sie.« Sie klappte einen Teil der Theke hoch und ließ Chastity durch.
In der wie immer warmen und einladenden Küche duftete es nach frisch Gebackenem. »Es gibt Marmeladenroulade«, lockte Mrs. Beedle. »Sicher möchten Sie ein Stück mit Pudding, Miss Chas. Direkt aus dem Backrohr. Der Pudding ist ebenfalls frisch.«
Pudding zu Mittag passt zu meiner Stimmung, überlegte Chastity. Wer wollte ihr vorschreiben, vor einem Dessert erst Fleisch und Gemüse zu essen? »Ja, bitte, Mrs. Beedle«, entschied sie und befreite sich von Schal und Mantel, bevor sie sich setzte.
»Hier ist die Post.« Mrs. Beedle langte zum Bord hinauf, holte einen Stapel Umschläge herunter und legte sie neben Chastity, ehe sie eine Riesenportion Roulade mit reichlich dickem, köstlich gelbem Pudding auftischte.
Chastity warf einen flüchtigen Blick auf die Umschläge und steckte sie in die Tasche, um sich ganz ihrem Pudding widmen zu können. Mrs. Beedle schwatzte munter über Kinder und Enkel und schien wenig oder gar keine Antworten zu erwarten. Wenn die Ladenglocke klingelte, ging sie ab und zu hinaus, um einen Kunden zu bedienen. In ihrer Abwesenheit aß Chastity ihren Teller leer. Das wird mir wieder einige der Kurven bescheren, die ich in den letzten Monaten verlor, dachte sie.
»Und wie geht es Seiner Lordschaft?«, fragte Mrs. Beedle, als sie wieder in die Küche eilte.
»Ach, recht gut«, sagte Chastity augenzwinkernd. »Er hat eine Freundin.«
»Ach, du meine Güte«, rief die Frau begeistert. »Das ist ja wundervoll. Ich sage ja immer, auch nach der besten Ehe soll der Hinterbliebene sich dem Schicksal nicht verschließen.«
»Eine gute Maxime, Mrs. Beedle. Mutter würde Ihnen beipflichten.«
»Ein wunderbarer Mensch. Mit einem so großen, gütigen Herzen.«
»Ja.« Chastitys Lächeln war ein wenig traurig. »Das war sie, und das hatte sie.« Sie griff nach Hut, Schal und Mantel. »Es war herrlich, Mrs. Beedle. Ich könnte den ganzen Nachmittag bleiben, muss aber nun gehen.«
»Besuchen Sie mich doch öfter«, forderte die Frau sie liebevoll auf. »Und grüßen Sie Miss Con und Miss Prue von mir.«
»Natürlich. Und sie erwidern die Grüße natürlich.« Chastity drückte der Frau einen Kuss auf die runde Wange und wappnete sich gegen die Kälte. Roulade und Pudding tun ein gutes Werk, wenn es darum geht, Wind und Wetter zu trotzen, dachte sie kurzfristig amüsiert.
Im Büro angekommen, traf sie ihre Schwestern an, die bereits zurück waren. Prudence in die Buchhaltung vertieft, Constance bei der Abfassung eines boshaften Artikels über die Silvesterparty bei Elizabeth Armitage.
»Wie geht es Mrs. Beedle?«, fragte Constance, von ihrer Zwei— Finger- Tipperei
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