Im Bann der Leidenschaften
mehr darüber reden“, verkünde ich mit fester Stimme. „Es war eine einmalige Sache, ein Ausrutscher, den ich mir nicht erklären kann, den ich unendlich bereue, und der sich nicht wiederholen wird! Und an dem der liebe Jerôme auch nicht ganz unschuldig ist.“
Ich rausche an meinen Freundinnen vorbei, um mir die Hände zu waschen. Selbst die Waschcreme ist der pure Luxus. Es gibt frische, weiche Frotteehandtücher zur Einmalnutzung und eine Handcreme steht auch bereit. Natürlich von Chanel. Sie duftet himmlisch nach Rosenholz und Zitrone.
„Das heißt, du erlaubst mir …“ Mel stockt.
Ich nehme Mel in den Arm. „Du darfst mit Jerôme tun und lassen, was du willst. Er gehört dir.“
„Was für ein scheinheiliges Weibstück!“, brummt Jane kopfschüttelnd. „Wenn du nicht meine Freundin wärst, würde ich dich zum Kuckuck jagen. Aber Freundinnen stehen in jeder Situation zusammen. Sogar in dieser, die einfach nur peinlich ist. Nee, Annie, was du dir leistest, das geht auf keine Kuhhaut! An deinem eignen Hochzeitstag!“
Mary-Beth nickt heftig.
„Ich meine es ernst. Ich will nichts von Jerôme!“ Ich blicke meinen Freundinnen fest in die Augen. In dem Moment glaube ich sogar selbst, was ich sage. „Und was kann ich dafür, dass Jerôme der Trauzeuge ist? Ich habe es nicht gewusst!“
„Aha.“ Naserümpfend stapfen Jane und Mary-Beth an mir vorbei aus dem WC.
Als wir in den Ballsaal zurückkehren, sind die Kristalllüster bis auf eine Notbeleuchtung heruntergedimmt und die Kerzen auf den Tischen kommen voll zur Geltung. Anstelle des Streicherquartetts, das bereits in der Kirche für die Musik gesorgt hatte, ist ein Akkordeon-Duett getreten. Die Streicher legen eine Essenspause ein.
Philippe kommt auf mich zu, verneigt sich vor mir und führt mich am Arm auf die Tanzfläche. Ein Spot geht an und beleuchtet uns. Der erste Tanz.
Mein Herz klopft wild. Ich stehe nicht nur ungern im Mittelpunkt, ich bin auch keine Tänzerin, habe nie eine Tanzschule besucht. Philippe hatte große Mühe, mir den Walzer beizubringen. Stundenlang haben wir in unserem Wohnzimmer geübt, mit mäßigem Erfolg. Und nun stehe ich hier im Rampenlicht und muss vor den Augen von mehr als zweihundert Menschen tanzen. Meine Knie fühlen sich an wie Pudding, als Philippe mich in die Tanzhaltung nimmt. Meine rechte Hand liegt in Philippes Hand, meine linke Hand hebt mein Kleid ein wenig an. Bis dahin bin ich schonmal. Ich bin gespannt, wie ich mich weiter schlage.
„Ich liebe dich“, raunt Philippe mir zu. „Du schaffst das.“
Ich nicke angespannt.
Der erste Akkordeonton. Sie spielen den Valse Ecossaise, einen schottischen Volkstanz, der in Frankreich gern auf Hochzeiten gespielt wird. Philippe hat das traditionelle Stück ausgesucht. Es besteht nur aus zwei Teilen, die immer wiederholt werden. Das soll es mir erleichtern, im Takt zu bleiben.
Philippe tritt auf der Stelle von einem Fuß auf den anderen, ich mache es ihm nach, während er mich sanft in seinen Armen wiegt. Und dann geht es los. Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei. Immer links herum. Ich zähle stumm mit, während die Musik mir vorgaukelt, dass wir uns auf einem Fest auf dem Lande befinden.
Immer schneller führt Philippe mich an den Zuschauern vorbei, die in mehreren Reihen die Tanzfläche umrunden und dem Brautpaar bei diesem ersten Tanz zuschauen. Wohlwollende Gesichter verfolgen uns. Ich erkenne meine Mom und meinen Dad, denen der Stolz nur so aus dem Gesicht springt. All die fremden Verwandten lächeln uns zu. Und auch meine Freundinnen beobachten mit verzückten Gesichtern, wie Philippe mich über die Tanzfläche führt. Ich dagegen bin alles andere als verzückt. Wie oft wollen die beiden Akkordeonspieler die beiden Teile des Liedes denn noch wiederholen? Ich fühle mich wie in einer unendlichen Schleife. Ewig grüßt das Murmeltier.
Ich bin nass geschwitzt, als der Tanz endlich vorbei ist. Jetzt muss ich zwar mit Dad tanzen, aber das ist einfach, denn mein Vater kann ebenso wenig tanzen wie ich. Wir treten einfach nur mehr oder weniger im Takt auf der Stelle, drehen uns langsam im Kreis herum und haben dabei sogar ein wenig Spaß. Zum Glück spielt das Akkordeon-Duo nun kürzere Stücke, damit die Zuschauer nicht so lange warten müssen.
Traditionsgemäß tanze ich als nächstes mit Philippes Vater. Sanft führt er mich im Dreivierteltakt zu irgendeinem Klassiker, den ich nicht kenne. Wieder zähle ich stumm von eins bis drei. Inzwischen
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