Im Bann der Leidenschaften
Mädchen.“
„Neunundneunzig.“
Ich schlucke hart.
Neunundneunzig. Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht mit einer Zahl über fünfzig! Neunundneunzig Frauen. Uff!
„Siehst du, jetzt bist du geschockt.“
Das kann man wohl sagen.
„Jetzt hältst du mich für einen ganz wüsten Weiberheld.“
Schlimmer.
„Annie, sieh mich an. Das ist alles Vergangenheit. Ich liebe dich. Dich und nur dich! Von ganzem Herzen.“
In meinem Kopf rattert und rattert es. Ich höre nichts von Liebe und Herzen. Nur die neunundneunzig spukt in meinem Kopf herum. Dann platzt es aus mir heraus: „Das bedeutet: Ich bin Nummer hundert.“
Philippe zieht mich an sich, streichelt mir sanft über den nackten Rücken. Dieses Mal regt sich bei mir nichts. Nicht einmal die feinen Härchen stellen sich auf. Höchstens vor Grauen.
„Philippe, bin ich Nummer hundert?“
„Ich weiß nicht, was du von mir willst, Annie.“
Wie vorhin, als es mir noch gut ging, als ich voller Vorfreude war, Philippe etwas Gutes zu tun, rolle ich mich von der Hängematte hinunter. Doch dieses Mal knie ich nicht vor Philippe nieder, sondern stelle mich auf mein gesundes Bein. Mühevoll nehme ich die beiden Krücken vom Boden auf und stütze mich darauf ab.
„Was ich damit sagen will?“ Herausfordernd blicke ich in Philippes leuchtend blaue Augen in dem noch immer erhitzten Gesicht. „Warum hast du ausgerechnet mich, die Nummer hundert, zu deiner Frau genommen?“
Jetzt richtet sich auch Philippe auf. Mit den Füßen stoppt er die schaukelnde Hängematte. Er sitzt noch immer darin, sieht zu mir auf. Dann streicht er sich die Ponysträhne, die schon wieder vor seine Augen gefallen ist, aus dem Gesicht.
„Wenn es eine Nummer neunundneunzig gibt“, meint er, „ist die nächste zwangsläufig die Hundert.“
Mir ist danach, Philippe eine Krücke über den Schädel zu ziehen. Wütend stoße ich einen Schwall Luft aus.
„Mein Gott, Annie“, stöhnt Philippe, „jetzt sei doch nicht so empfindlich! Ich hatte ein Leben vor dir.“
„Ein ausgesprochen bewegtes Leben, wie mir scheint.“
„Das ist so in meinem Beruf – äh, das war so, vor deiner Zeit, Annie.“
„Und wer sagt mir, dass es nicht wieder so wird?“
„Wie oft soll ich dir eigentlich noch sagen, dass ich dich liebe, Annie? Wie viele Liebesschwüre brauchst du noch, bis du mir endlich glaubst, dass du die Liebe meines Lebens bist? Was gewesen ist, ist gewesen, Vergangenheit, aus und vorbei.“
Philippe erhebt sich aus der Hängematte. Das Ding rutscht nach hinten hin weg und Philippe strauchelt, fängt sich aber im letzten Moment. Er kommt auf mich zu.
Drohend bohre ich ihm den Gummifuß meiner rechten Krücke in die Brust. „Fass mich nicht an!“
„Annie, du spinnst!“
„Mag sein, dass ich spinne, aber für ein Mädchen vom Lande ist es einigermaßen erschütternd, wenn es erfährt, dass ihr Ehemann vor ihr neunundneunzig andere hatte. Verdammte Scheiße! Das ist doch krank! Neunundneunzig Frauen hat der Typ gefickt! Ich fasse es nicht!“
„Bin ich denn hier im Kindergarten?“ Philippe stapft an mir vorbei. „Ich gehe duschen. Wenn du wieder bei Verstand bist, sag mir Bescheid, dann schraube ich mal ordentlich an deiner Muschi herum, um mich für das hinreißende Blaskonzert zu revanchieren.“
„Philippe“, keife ich ihm hinterher, „wer sagt mir, dass bei hundert Frauen Schluss ist?“
Als ich keine Antwort bekomme, kommt mir eine Idee. Ich weiß, dass ich sie besser für mich behalten sollte, aber ich kann nicht. Sie muss raus. „Hast du dir vorgenommen, die hundertste zu heiraten? Weil du demnächst fünfunddreißig wirst? Und endlich Schluss sein soll mit der wüsten Herumfickerei? Oder weil du irgendeine bescheuerte Wette unter Jungs abgeschlossen hast?“
Mein Mann bleibt in der Tür zum Bad stehen. Wie in Zeitlupe dreht er seinen Kopf zu mir herum. Mir wird ganz schwummrig. Diesen Blick kenne ich. Er bedeutet, ich habe ins Schwarze getroffen. Ich fühle das Brennen in meinen Augen. Gleich werden mir die Tränen wieder über die Wangen laufen. Seit wann bin ich eigentlich so nah am Wasser gebaut? Wütend wende ich mich ab. Ich will auch eine Dusche, ganz egal, dass der Arzt es mir verboten hat. Ich will mich nicht wieder mühselig waschen oder mich von Philippe waschen lassen. Ich brauche eine kräftige eiskalte Dusche. Oder eine heiße.
„Annie“, Philippe spricht ganz ruhig, „du bist die hundertste, das stimmt, aber zufällig ist die hundertste
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