Im Bann der Liebe
schnippte sein Zigarillo ins Gras. »Glaub mir, Bruder, es vergeht keine Nacht, ohne dass ich schlecht träume und Angst habe, dass es so werden könnte, wie es mit Julia war!«
»Was bist du nur für ein Feigling«, zischte Ethan. »Susannah mag dich, das sieht doch jeder. Und wenn du das Risiko nicht scheuen würdest, könntest du sie auch lieben.«
Aubrey starrte seinen Bruder überrascht und wütend an. »Hört, hört. Und welches Risiko gehst du ein? Du steckst wie ein Maultier im Matsch und versuchst nicht mal, dich zu befreien!«
Ethan sah beiseite und seufzte. »Ich hätte Su Lin nicht gehen lassen sollen - wenn ich darauf bestanden hätte ...«
Aubrey ergriff Ethans Schultern mit beiden Händen. »Es gab nichts, was du hättest tun können. So, wie du es mir erzählt hast, ist Su Lin aus vielen Gründen zurück nach China gegangen - die meisten davon wirst du nie verstehen. Sie ist jetzt die Frau eines anderen. Es ist vorbei, Ethan.«
Ethans Blick war leer, distanziert. »Warum habe ich nicht um sie gekämpft?«
»Vielleicht warst du in deinem Inneren davon überzeugt, dass es für euch beide nicht gut gewesen wäre. Ob Liebe oder nicht, bei gemischten Ehen geht es manchmal immer noch wie im Mittelalter zu.«
Ethan seufzte. »Ich trauere schon lange um sie«, bekannte er, »fast, als wenn sie gestorben wäre.« Er schüttelte Aubrey die Hand und sah ihm gerade in die Augen. »Aber ich will verdammt sein, wenn du nicht Recht hast.« Er lächelte. »Glückwunsch zu deiner Verlobung, Bruder. Ich hoffe, du weißt, wie glücklich du dich schätzen kannst.« Damit ließ er Aubrey allein.
Vielleicht, dachte er, ist es an der Zeit, dass auch ich mich weiterentwickele. Ich habe schon lange genug in Bedauern, Wut und Schuldgefühlen verharrt.
Aubrey legte den Kopf in den Nacken und sah in den sternenklaren Nachthimmel. Dann kehrte er zu seiner Verlobungsfeier zurück.
Susannah tanzte mit John Hollister, und als er sah, wie sie ihn mit rosigen Wangen anlächelte, verspürte Aubrey plötzlich in sich so etwas wie Besitzanspruch. Er kämpfte noch mit seinen Gefühlen, als sich eine schlanke, juwelenbesetzte Hand auf seinen Arm legte.
Er erkannte die Berührung, hatte selbst die Diamanten und Saphire ausgesucht. Seine Augen trafen die Delphinias, ansonsten bewegte er sich nicht.
»Nur einen Tanz?«, bat sie.
Aubrey wusste, dass sie beobachtet wurden und dass er aufpassen musste, keinen Klatsch zu erzeugen, unter dem Susannah und später Victoria würden leiden müssen. »Du hättest nicht kommen sollen«, bemerkte er ausdruckslos.
Sie öffnete ihren Fächer aus Silber und Elfenbein - ohne Zweifel ein weiteres Geschenk von ihm, auch wenn er sich an den Kauf nicht erinnerte - und bewegte ihn vor ihrem Gesicht hin und her. Sie ist im klassischen Sinne schöner als Susannah, dachte er leidenschaftslos. Er hatte die Freude des Bettes mit ihr genossen, und in einer Stadt, in der jeder seine Leichen im Keller hatte, hätte er sie wohl auch zur Frau nehmen können. Nach dem ersten Aufruhr hätte man sie in der Gesellschaft akzeptiert, schon seiner Stellung und seines Geldes wegen. Und doch hatte er nicht einmal erwogen, sie zu heiraten. Er runzelte die Stirn bei dieser Erkenntnis.
»Du bist ein Narr, wenn du glaubst, so eine graue Maus könnte dich glücklich machen«, zischte sie. »Sieh sie nur an, sie kann nicht einmal tanzen. Und was ihre Manieren angeht...«
»Manieren?«, unterbrach Aubrey. »Wir sind in Seattle, nicht in Boston.«
Der Fächer bewegte sich schneller. »Was macht sie dann so attraktiv für dich?«
Aubrey wandte sich um und betrachtete Susannah abschätzend. »Ich weiß es nicht. Aber ich will sie heiraten, Delphinia, ob es dir passt oder nicht.« Er hob eine Braue. »Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass du das erste Schiff nach San Francisco nimmst? Es hat den Anschein, dass du schon einige verpasst hast.«
Delphinia errötete - sie war die verschmähte Frau. »Das wirst du noch bereuen, Aubrey Fairgrieve«, fauchte sie. »Das wirst du sehr bereuen!«
Es schien noch einiges auf ihn zuzukommen. »Vielleicht.« Er sah sie an. »Morgen Nachmittag geht, glaube ich, wieder ein Schiff. Wenn du jetzt gleich mit dem Packen beginnst, könntest du es noch erreichen.« Damit ging er zu Susannah, die mit einem ihrer Klavierschüler tanzte, und ergriff ihre Hand, um sie beiseite zu ziehen.
Als er in ihr argloses, vor Freude gerötetes Gesicht hinuntersah, wurde ihm erstmals klar, dass Ethan im
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