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Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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Gefahr der Entdeckung steigt in langen Friedenszeiten enorm an. Wir sind eben Götter und Dämonen zugleich“, gab er zu.
    „Deshalb müsst Ihr sorgfältig wählen, wem Ihr das Siegel der dunklen Macht aufprägt. Ihr seid verpflichtet, Eurem Schützling alle unsere Regeln zu lehren, sonst …“
    „Sonst was?“
    „Sonst werden jene Monster geschaffen, die ganze Landstriche in Angst und Schrecken versetzen und unsere Rasse in Verruf bringen. Blutgierige Kreaturen, die nur ihren Durst stillen wollen und ohne Sinn und Verstand Leben nehmen.“
    „Daher also die vielen schrecklichen Legenden über uns.“
    Marcel begriff langsam, worum es bei den Vampiren in Wirklichkeit ging und welche Verantwortung er mit der dunklen Macht übernommen hatte. Er würde einige Zeit brauchen, um das Gesagte zu verkraften. Er war Herr über Leben und Tod. Richter und Henker zugleich!
    Der Marquis ergriff seine Hand.
    „Kommt, wir wollen beide ruhen, bis das Schicksal uns wieder auf den Plan der Weltgeschichte ruft! Ich habe bereits alles vorbereitet.“
    Widerspruchslos ließ Marcel sich fortführen, hinunter in die Kammer, die ihm bereits so vertraut war. Nach so kurzer Zeit erneut in seinen Sarg zu steigen, widerstrebte ihm etwas. Zu gern hätte er den Sommer und seine neuen Fähigkeiten noch ausgekostet. Diesmal aber würde er nicht allein hier unten sein, und das war immerhin ein Trost.
    Julien spürte seine Verunsicherung. Obwohl es hier unten stockdunkel war, konnten sie einander sehen.
    „Fürchtet Euch nicht vor der Zukunft“, meinte Julien, und der Junge hatte das Gefühl, dass nicht allein die Zeit damit gemeint war.
    „Während wir nebeneinander ruhen, werde ich Euch durch unsere mentale Verbindung all die Dinge lehren, die für Euch von Wert sind“, versprach er und wies auf den Sarg.
    Wortlos stieg Marcel erneut in die Ruhestätte und ließ den Deckel über sich schließen. Der Marquis tat es ihm nach.

Bis zum Jahre 1788 verbrachte Schloss Montespan fast ein ganzes Jahrhundert in einer Art Dornröschenschlaf. Verwaltet wurde es derweil von einer Kanzlei in Paris, die für die Aufrechterhaltung des normalen Betriebes Sorge trug. Offiziell waren der Marquis und sein Mündel zu einer längeren Schiffsreise aufgebrochen. Während auf der Erde einige Generationen geboren wurden und wieder erloschen, schliefen die beiden Vampire in der unterirdischen Lilienkammer. Bei ihrem Erwachen herrschte in Versailles Ludwig der XVI. und an seiner Seite Marie-Antoinette mit ihrer hemmungslosen Verschwendungs- und Spielsucht. In der Stadt Paris gärte es. Hunger und Unmut über die wachsende Steuerlast ließ das Volk gegen die adelige Herrschaft aufbegehren. Geheime Pamphlete wurden verteilt. Im Untergrund formierte sich der Widerstand. Der König hatte neue Regimenter in die Stadt befohlen, nachdem ihm mitgeteilt wurde, dass mehrere Landsitze seines Hofstaats vom Pöbel gebrandschatzt worden waren. Aber je mehr Soldaten patrouillierten, desto unruhiger wurde das Volk. Es war keine gute Zeit für zwei Vampire, die den Adelskreisen angehörten!
     
    Mit dem Bekanntwerden der Rückkehr des Marquis und seines Mündels auf Schloss Montespan wurde die Lunte der Revolution auch an das nahe gelegene Dorf gelegt. Der Hunger trieb die verarmten Menschen zu Wilderei und Plünderungen, die von Seiten der königstreuen Miliz mit harten Strafen geahndet wurden. Da wurde auch der eine oder andere Baum zum Galgen. Die Unruhen verstärkten sich im Jahre darauf. In Paris wurde die Bastille gestürmt, und der Marquis traf neue Vorbereitungen. Ständig warteten zwei der Pferde gesattelt im Stall. Viele seiner Diener waren bereits weggelaufen und hatten sich den Revolutionsrufen angeschlossen. Es dauerte nicht lange, als sich auch eine Bande marodierender Bauern im Schutze der Nacht dem Schloss Montespan näherte. Sie trugen Fackeln, Mistgabeln und Sensen in den Händen. Ungewaschene Gestalten in zerrissener Kleidung sangen Protestlieder und riefen immer wieder „Nieder mit dem Adel!“
    Die wenigen verbliebenen Diener im Schloss würden die Menge kaum aufhalten können, wenn sie das überhaupt wollten. Das war auch Julien de Montespan klar. Er schickte Gaspard mit der Kutsche los, dessen adeliges Symbol auf dem Wagenschlag mit schwarzer Farbe übermalt worden war. Der Diener sollte ihn am gewohnten Treffpunkt hinter dem Wald erwarten. Anschließend rief er Marcel zu sich in die Bibliothek.
    „Rasch, unsere Wege müssen sich für kurze Zeit trennen,

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