Im Bann der Lilie (Complete Edition)
erreichen, und Eure Schlachten werden die Welt verändern.“
Bonaparte lachte leise. „Das ist kein Geheimnis, mein lieber Marquis, sondern das Resultat meiner militärischen Strategie. Ist das alles, was Ihr zu bieten habt?“
In Juliens blauen Augen loderte der Zorn nun offen auf. Seine Stimme wurde eisig, als er antwortete: „Dann hört gut zu: Ihr werdet König und Kaiser zugleich sein, Ihr werdet viele Liebschaften und eine große Liebe erleben und ebenso große Mächte herausfordern. Eure Freunde werden zu Euren Feinden und Euer Leben wird ein einziger Kampf bleiben. Und zu guter Letzt werdet Ihr Eures eigenen Reiches verbannt werden, um einsam zu sterben!“
Und nur ich könnte Euch dieses Schicksal ersparen, dachte der Marquis dabei triumphierend.
„Genug jetzt!“, brüllte Napoleon und schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, dass die Silbertabletts mit dem Essen darauf leicht in die Höhe hüpften. Ein paar kleine Äpfel kullerten über den Tisch. Dann beherrschte sich der Soldatenführer mühsam wieder und atmete tief durch. Für ein paar Minuten herrschte absolute Stille im Raum. Julien trank sein Glas Rotwein aus. Nachdenklich drehte er das kostbare und im Schein der Kerzen blitzende Kristall danach in seinen Händen. Bonaparte erhob sich derweil vom Tisch. „Nun gut, wenn es Euch beliebt, so wartet an Bord oder in Alexandria auf meine Rückkehr. Es dürfte gewiss mehrere Monate dauern. Aber ich bin sicher, Ihr tut es gern. Ihr wisst ja, welche Belohnung Euch erwartet.“
Wieder dieser hintergründige Zynismus in der Stimme des Korsen. Julien platzte fast der Kragen. Er hätte den General an seiner Uniform gepackt und ihm seine „Waffen“ gezeigt, um so aus ihm das Versteck des Bildes heraus zu pressen. Ein leises Klirren unterbrach plötzlich die Stille. Das Glas in den Händen des Marquis war zerbrochen. Rasch griff Julien nach einer Serviette, scheinbar, um das Blut aus den Schnittwunden in seinen Handflächen zu stoppen. In Wirklichkeit sollte Napoleon nicht sehen, wie schnell sich seine Wunden schlossen. Bonaparte bemerkte diese heftige Reaktion mit hoch gezogenen Augenbrauen, dann verließ er schweigend die Kapitänskajüte. Julien hätte alles darum gegeben, so schnell wie möglich wieder zurückkehren zu können nach Europa.
Die Gelegenheit schien früher zu kommen als erwartet.
An jenem Tag, an dem die Engländer in der Bucht von Abukir angriffen, geriet auch sein Schiff in die Schusslinie und wurde schwer beschädigt. Noch schwamm es, wenn auch mit Schlagseite und manövrierunfähig! Die Matrosen versuchten, so viel Ballast wie möglich über Bord zu werfen, bis Hilfe kam. Selbst die Kanonen wurden von dem schwimmenden Wrack in die See befördert. In ihrer Panik brachen sie auch die Kajüte des Marquis auf und entdeckten dort den großen, lederbezogenen Reisekoffer. Julien hatte während der gesamten Schlacht darin gewartet und mit tiefer Sorge die Beschädigung des Schiffes registriert. Ein Alptraum für einen Vampir, aber wohin hätte er auch fliehen sollen?
In diesen bangen Stunden bereute er wohl tausende Male seine Entscheidung, an Bord eines Kriegsschiffes zu gehen, das zudem auch nicht mehr das jüngste war. Warum musste er auch hinter diesem verfluchten Gemälde herjagen? Während die Armeen Napoleons in das Landesinnere eindrangen, verbrachte er seine Zeit damit, die vor Anker liegenden Schiffe Nacht für Nacht zu durchsuchen, in der Hoffnung, das Bild zu finden. Ohne die geringste Spur! Hatte dieser elende Bonaparte ihn etwa erneut überlistet und gar belogen? Eines Tages würde er sich dafür rächen, das schwor sich Julien in dieser Minute. Aber daran konnte er jetzt keinen weiteren Gedanken verschwenden. Das ganze Schiff war in Aufruhr. Außerdem würde der Morgen bald grauen!
Gerade spürte der Marquis, wie der schwere Koffer hochgehoben wurde. Zwei kräftige Seeleute schleppten das Gepäckstück an Deck und warfen es über die Reling. Zuvor hatten sie die beiden Lederriemen darum festgezurrt. Julien wollte schreien, als der Koffer mit Wucht auf die Wasseroberfläche traf und kurz untertauchte. Doch vor Schreck brachte er keinen Ton heraus. Er würde sterben! Selbst wenn er jetzt mit aller Kraft den Deckel sprengen würde, das Morgenlicht würde seiner Haut die unvermeidlichen Verbrennungen zufügen. Er hatte in diesem Augenblick nur die Wahl zwischen zwei Arten des Todes! Ein Pflock durch das Herz wäre da gnädiger gewesen als ein langsames Ertrinken
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