Im Bann der Lilie (Complete Edition)
werde ich nicht mit an Land kommen, sondern im Hafen von Alexandria auf Eure Rückkehr warten.“
Napoleon nickte zustimmend. Es war nicht ganz das, was er erwartet hatte, aber es würden mehr als genug Mediziner diesen Feldzug in Richtung der ägyptischen Hauptstadt Kairo begleiten. Ihm ging es nur darum, dem Geheimnis dieses Adeligen auf die Spur zu kommen. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Mann. Allein seine Augen strahlten eine unergründliche Weisheit und Macht aus, die den Heerführer faszinierten. Außerdem wollte er wissen, was es mit dem Gemälde auf sich hatte, das der Marquis so heiß begehrte. Zugegeben, der darauf dargestellte Jüngling war sehr schön. Aber welche Verbindung bestand zwischen diesen beiden Männern?
„Wohlan, so sei es. Es wird alles so gemacht, wie Ihr es wollt. Sobald ich aus Kairo zurück bin, erhaltet Ihr Eure wohlverdiente Belohnung“, sagte Bonaparte nun und sah dem Marquis de Montespan offen in die Augen. Konnte Julien diesem Fuchs trauen?
Während der Überfahrt ertrug der Marquis die gleichen Schwierigkeiten wie sein Mündel Marcel. Aber auch auf seinem Schiff gab es einige unerklärliche Krankheitsfälle, die alle tödlich endeten. Bei so vielen Soldaten, Matrosen und Begleitpersonen fielen diese wenigen Verluste kaum ins Gewicht. Ein großer Reisekoffer diente Julien als Ersatz für einen Sarg. Noch nie hatte er so unbequem seine Ruhephasen verbracht! Aber nicht nur die ungewohnte Enge in diesem Gepäckstück machte ihn ungehalten, auch das Eingepferchtsein mit Hunderten von Menschen auf einem hölzernen Gefährt, unter dem sich nichts als Wasser befand! Hier würde es kein Entkommen geben, sollte er seine wahre Natur als Vampir verraten! Aus Angst vor Entdeckung verriegelte er seine Kajüte regelmäßig, bevor er sich bei Tagesanbruch schlafen legte. Dennoch blieben seine feinen Sinne angespannt, horchten auf jedes außergewöhnliche Geräusch, zählten die Schläge der Schiffsglocke und folgten den Schritten der vorbeihastenden Menschen draußen vor seiner Türe.
Er war heilfroh, als das Schiff Alexandria erreichte und nach dem Ausladen von Menschenfracht und Ausrüstung endlich Ruhe einkehrte. Diese ganze Prozedur hatte mehrere Tage gedauert. Das Heer lagerte bereits an Land. Napoleon hatte am Abend zuvor noch in seiner Gegenwart ein letztes Mal an Bord zu Abend gegessen und ihm von seinen Plänen erzählt: Er wollte die Mamelucken zurück schlagen und die Hauptstadt Kairo einnehmen, um diese von der türkischen Herrschaft zu befreien. Mit der Begeisterung eines kleinen Jungen hatte der Korse ihm von den Pyramiden berichtet, die er bald mit eigenen Augen sehen würde. Julien selbst interessierte dieses heiße, sonnen- und kulturreiche Land nicht im Geringsten. Er hörte nur mit halbem Ohr zu, was Bonaparte missbilligend zur Kenntnis nahm.
„Wollt Ihr uns wirklich nicht an Land begleiten? Seid Ihr denn nicht ein kleines Bisschen neugierig auf die vielen Abenteuer, die uns erwarten?“
Im letzten Satz klang eine Spur Zynismus mit. Julien schüttelte den Kopf.
„Liegt es etwa an Eurer Krankheit?“, hakte Napoleon nach. „Wie lange quält sie Euch schon?“
„Eine Ewigkeit“, murmelte der Marquis und nahm einen Schluck des dunkelroten Bordeaux zu sich.
„Und es gibt keine Heilung?“
„Nein, mon général. Für dieses Übel gibt es keine Heilung.“ Juliens Stimme klang hart und bitter bei diesen Worten.
Bonaparte spürte, dass dem Marquis die Frage nach seiner Gesundheit offenkundig unangenehm war und lenkte das Gespräch daraufhin auf ein anderes Thema: „Ich gebe zu, ich würde gerne mehr Eurer Geheimnisse erfahren. Ihr seid einer der wenigen Männer, die ich nicht zu durchschauen vermag. Ihr scheint mir unbestechlich und doch vermögt Ihr Euer Herz einem mir unbekannten Jüngling zu schenken. Aber genug davon. Ich sehe, dass Ihr mir in dieser Hinsicht nicht vertraut. Eine andere Sache interessiert mich dennoch: Ihr seid ebenfalls der Sternkunde mächtig, wie ich hörte. Vermögt Ihr etwa auch, die Zukunft daraus zu deuten?“
Der Marquis lehnte sich in seinem Polsterstuhl zurück und blickte den Heerführer geradewegs in die Augen. „Vielleicht“, gab er zu.
Napoleon lächelte andeutungsweise. „Nun, und was verheißen mir die Sterne? Kommt schon, Marquis de Montespan, spannt mich nicht so auf die Folter!“
Wenn Ihr wüsstet, welche Folter Ihr mir bereitet, dachte Julien zornig. Laut erwiderte er nur: „Ihr werdet viele Eurer Ziele
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